Besuch aus der Partnergemeinde Togliatti
Zwei Jahre ist es her, dass Tatjana Zhivoderova, Pastorin unserer Partnerschaftsgemeinde aus dem russischen Togliatti, in Deutschland und auch in Wolfsburg zu Besuch war. Gemeinsam mit weiteren Gemeinden der evangelisch-lutherischen Diasporakirche im europäischen Russland hatte einen Stand auf dem Markt der Möglichkeiten beim Kirchentag in Hannover und bei dieser Gelegenheit auch uns im Kirchenkreis besucht.
„Für ihre wachsende diakonische Arbeit wollte sie Partner und Fördermöglichkeiten finden“, erzählt nach ihrem Besuch Pastor im Ruhestand Horst-Ulrich Braun. Er hat in den 1990er Jahren die Partnerschaftsarbeit mit der evangelischen Gemeinde in Togliatti mit aufgebaut und betreut sie bis heute. „Es gibt außer uns hier in Wolfsburg keine aktiven Partnerschaften mehr mit russischen Gemeinden seitens der Landeskirche“, bedauert der 83-Jährige, dessen Engagement für Togliatti mit seinem Engagement in der Friedensbewegung begann.
Aber nicht nur der Krieg Russlands gegen die Ukraine sei schuld daran. Viele partnerschaftliche Beziehungen seien eingeschlafen in den vergangenen Jahren, erfährt er auf Nachfrage beim Hermannsburger Missionswerk. „Das bedrückt mich.“ Verständlich, wenn einer wie er sich mit so viel Herzblut einbringt. Und mindestens ebenso verständlich, wenn man sieht, was sich gerade im Bereich der diakonischen Arbeit in den vergangenen Jahren durch Tatjana Zhivoderova, ihre Tochter Larissa und viele Mithelfende entwickelt hat.
Zwei Gruppen mit je etwa 20 jungen Menschen betreut die Gemeinde in ihrem Zentrum für die kreative Aktivitäten von Menschen mit Beeinträchtigungen, wie es auf dem Handzettel heißt, den Tatjana Zhivoderova auf dem Markt der Möglichkeiten in Hannover verteilt. Kochen, basteln, tanzen, musizieren, einen Garten anlegen, Theaterstücke aufführen – all das wird dort verwirklicht.
Die Warteliste ist lang, denn Menschen mit Beeinträchtigung haben es in Russland schwer. „Der Staat leistet eine schulische Ausbildung, so weit es eben geht und unterstützt, wenn überhaupt möglich, den Einstieg in eine berufliche Tätigkeit.“ Wenn das nicht gelingt, bleibe nur noch eine kleine Rente für die Familien, die dann selbst dafür verantwortlich sei, ihre jungen Erwachsenen den Tag über zu beschäftigen. „Die sind sehr froh, dass es die Einrichtung unserer Partnergemeinde gibt.“
Wie gut die Arbeit von Pastorin Zhivoderova und ihrem Team sei, werde vor Ort sehr wohl wahrgenommen. Und das, obwohl die Evangelischen in Russland häufig als Sekte angesehen würden. Vor drei Jahren hat der damalige Oberbürgermeister von Togliatti der evangelischen Gemeinde ein großes Grundstück zur Verfügung gestellt. „Prinzip Hoffnung ist da am Werke“, befürchtet Horst-Ulrich Braun. „Und doch bin ich zwiegespalten. Denn da wird mit viel Mut und großer Tatkraft versucht, etwas auf die Beine zu stellen, was manchen unmöglich erscheint.“ Gelder oder private Sponsoren gibt es nicht, um dort beispielsweise eine Behindertenwerkstatt zu errichten, gar noch dazu eine richtige Kirche mit Kirchturm, nicht nur ein kleines Häuschen. „Wenn nach zehn Jahren dort nichts entstanden ist, wird die Stadt das Gelände zurückfordern“, so Brauns Information. Mit großer Mühe habe die Gemeinde das Grundstück inzwischen eingezäunt, um zu verhindern, dass dort Unrat und Müll abgeladen werden.
Die Situation in Russland wird im Alltag immer schwieriger, die Pastorin hat sich mittlerweile eine Datscha zulegt, um dort Obst und Gemüse anbauen zu können, denn Lebensmittel haben sich massiv verteuert. Auch für die Versorgung in der diakonischen Arbeit ist das ein Problem. Der Krieg Russlands gegen die Ukraine erschwere das Gemeindeleben zusätzlich bis hin zur Zerreißprobe.
„Schweigende Gruppen, die vorher lebendig und fröhlich miteinander sein und feiern konnten, reden jetzt noch das Nötigste reden miteinander.“ Das Thema Krieg werde oft vermieden, um die Gemeinschaft nicht zu gefährden. „Alle wünschen sich baldigen Waffenstillstand und Frieden, aber wenn es um die Ursachen des Krieges geht, gerät man aneinander.“
Umso wichtiger sind Kontakte, Gespräche, gemeinsame Erlebnisse und Kirchentagsgottesdienste mit vielen Menschen jetzt für die Besucherinnen aus Togliatti. „Nicht alleine dazustehen, nicht die anderen zu sein, sondern dazu zu gehören, dieses Gemeinschaftserlebnis stärkt ungemein“, spüren Horst-Ulrich Braun und seine Frau Elke im Laufe des Besuches. Trotz aller Schwierigkeiten sei aber das Selbstbewusstsein der Partnergemeinde insbesondere in Bezug auf ihre diakonische Arbeit gewachsen. „Tatjana hat den Auftrag ihrer Pröpstin erhalten, über ihre Arbeit in der gesamten evangelisch-lutherischen Kirche im europäischen Russland zu informieren.“
Und nicht nur das. Sie soll auch andere Gemeinde schulen und Ehrenamtliche ausbilden. Ein erster wichtiger Schritt dafür wurde im Rahmen des Deutschlandbesuches in Hermannsburg getan: Gemeinsam mit dem dortigen Evangelisch-lutherischen Missionswerk wurde ein Curriculum für diese diakonische Ausbildung erarbeitet. Nun fehlen nur noch Projektpartner:innen, Unterstützer:innen und Fördernde, damit es weitergehen kann.