Mitgliederrückgang ist gesellschaftsrelevant
In den vergangenen Jahren hat der Kirchenkreis Wolfsburg-Wittingen durchschnittlich ungefähr 2,5 Prozent Kirchenglieder verloren. 2,75 Prozent waren es im Jahr 2022, 49.970 Menschen gehören damit seit Jahresbeginn 2023 zum Kirchenkreis, 1.409 weniger als vor einem Jahr. „Kirche verliert Menschen, sie verliert damit auch an Relevanz. Denn Menschen suchen nicht mehr nur in der Kirche Orientierung“, sagt Superintendent Christian Berndt. Doch noch immer ist in Deutschland mehr als jede oder jeder Zweite Christ oder Christin, also katholisch, evangelisch, freikirchlich oder orthodox. Jede andere Organisation hierzulande wäre über einen derartigen Zuspruch hocherfreut, keine Partei weise derart hohe Mitgliederzahlen auf, sagt Berndt. „Das soll die Verluste an Mitgliedern nicht schönreden. Jeder Austritt schmerzt! Aber wir befinden uns weder in unserer Region noch in ganz Deutschland in einem entkirchlichten Land.“
Jeder Kirchenaustritt wirke sich 1:1 auf die Gesellschaft aus, denn weniger Kirchenmitglieder bedeuteten weniger Geld für die Kernaufgaben der christlichen Kirchen. Gottesdienste und andere spirituelle Angebote gehörten genauso dazu wie seelsorgerliche Angebote und sozialdiakonische Aufgaben. Berndt nennt Angebote wie die Notfallseelsorge, die Krankenhausseelsorge, die Altenheimseelsorge, die Telefonseelsorge, kirchliche Angebote für Kinder, Jugendliche, für ältere und alte Menschen, für Bedürftige, Menschen in Notsituation, für Flüchtlinge. „Der Großteil unserer Arbeit ist direkt gesellschaftsstabilisierend! Das können wir nur leisten, wenn Menschen ihren Teil in Form der Kirchensteuerzahlungen dazu beitragen.“
Wer aus der Kirche austreten wolle, müsse dafür keine Gründe nennen. Die im Jahr 2022 massiv gestiegenen Lebenshaltungskosten seien ein gewichtiges Zünglein an der Waage gewesen. „Die Menschen fragen sich: Was kann ich mir noch leisten? Aber oft auch: Was will ich mir noch leisten?“ Da folge die Entscheidung für einen Kirchenaustritt vermutlich Tendenzen, die man in anderen Bereichen unserer Gesellschaft auch konstatiere. „Es wird nicht nach dem Nutzen für das Gemeinwesen entschieden oder dem, was mal für mich wichtig war, sondern nach dem, was ich jetzt direkt spüre, was jetzt für mich Bedeutung hat.“ Skandale in der Kirche, wenig Kontakt zur örtlichen Kirchengemeinde und politische Äußerungen von Kirchenvertreter:innen, die nicht den eigenen entsprechen, trügen zu Austrittstendenzen bei.
Der Auftrag als Kirche, die Menschen auf ihrem Lebensweg zu begleiten, werde angesichts einer sich stark verändernden Gesellschaft nicht einfacher. „Was erwarten Menschen von uns? Zwei deutliche Tendenzen sehe ich: Sie erwarten nichts (mehr) – und sie erwarten alles. Oft genug beides gleichzeitig.“ Man müsse ausloten, was Menschen heute, jetzt von Kirche bräuchten und erhofften. Es sei notwendig, neu auf Menschen zuzugehen, ihnen neue, dem Heute gemäße spirituelle Angebote zu machen. „Der 10-Uhr-Gottesdienst am Sonntagmorgen ist nicht mehr das, was viele sich wünschen. Da müssen wir umdenken und dorthin gehen, wo die Menschen stehen.“