Theolog:innen im Ruhestand dürfen bis an ihr Lebensende taufen, trauen, beerdigen und predigen. Sie dürfen nicht nur – sie tun es auch. Warum kaufen sie nicht wie andere Pensionär:innen Segelboote, bauen Gewächshäuser oder reisen um die Welt? „Das machen wir doch auch!“, sagt Andreas Salefsky. „Nein! Ein Gewächshaus würde ich niemals bauen!“, widerspricht Martin Berndt. Gemeinsam touren die beiden als Gastdienstler durch den Kirchenkreis Wolfsburg-Wittingen. Ein eingespieltes Team, dabei haben sie sich Zeit ihres offiziellen gemeinsamen Berufslebens immer gesiezt – und das mitten auf dem Land.
Auch für Zugezogene wie die Pastoren Salefsky und Berndt prägten Kopfwurst, Tiegelbraten und Schützenfest das Berufslebens in einem Landstrich, der bis zur friedlichen Revolution Teil der deutsch-deutschen Grenze war. „Hier war das östlichste Ende der NATO“, sagt Andreas Salesky, der von 1986 bis 2017 Pastor in Zasenbeck war. Über die Brücke zwischen Zasenbeck und Hanum, drei Kilometer von Zasenbeck gelegen, fuhren 1944 noch die Panzer der Allierten. Seit dem 1. Juli 1945 war kein Durchkommen mehr nach Hanum. Die Region ein Korridor: östlich begrenzt durch die innerdeutsche Grenze und westlich spätestens seit 1956 durch den Truppenübungsplatz Ehra-Lessien.
Als Andreas Salefsky Pastor in Zasenbeck wird, ist das Lebensgefühl dort von Bedrohungsempfinden geprägt. Der Spaziergang mit Hund entlang der Grenze gehörte für den 1954 geborenen Pfarrerssohn bis zum 31. Dezember 1989 zum Alltag. „Silvester bin ich rübergegangen“. Getroffen hat er niemanden. „Die haben alle im Jugendclub gefeiert – oder waren im Westen.“ Salefsky geht zurück nach Zasenbeck – ohne Personalausweis. Der lag daheim, vergessen. „Das macht nichts, Sie sind uns von Person bekannt“, konstatierten die DDR-Grenzen und ließen ihn passieren.
"Du kannst ja gehen, wir bleiben hier!"
Bekanntheit ist etwas, dass beide Theologen auch im Ruhestand noch begleitet. Martin Berndt kam sieben Jahre nach der Grenzöffnung als Pastor und als Superintendent nach Wittingen. Wie auch Andreas Salefsky und seine Frau, die in Zasenbeck gebaut haben, ist er nach seiner Pensionierung geblieben. „Ich habe mir das Ländliche nicht ausgesucht“, sagt Pfarrersohn Berndt, der in Bergen bei Celle in ländlicher Umgebung aufwuchs. Das Personaldezernat der Landeskirche setzte vor 50 Jahren junge Pastoren – damals waren es ja noch ganz überwiegend Männer, die in den Pfarrberuf gingen – dorthin, wo sie gebraucht wurden. Wünsch‘ Dir was gab es nicht. Nach fünf Jahren in der ersten Pfarrstelle bedenkt Martin Berndt einen Ortswechsel, seine Töchter hingegen nicht: „Du kannst ja gehen, wir bleiben hier!“. So vergehen 22 Jahre bis zum Wechsel in die Wittinger Suptur – inklusive aktiver Mitarbeit im Kirchenkreis Uelzen und hannoverschen Landessynode. Berndt und Salefsky haben ihr gesamtes Berufsleben auf dem Land verbracht und das wirkt bis heute nach.
„Martin Berndt geht mit der Einkaufstasche durch den Ort“, schmunzelt Salefsky, der viele Jahre zweiter Mann, Stelltvertreter also, für den Wittinger Superintendenten war. Die Familien Berndt und Salefsky pflegten offene Pfarrhäuser, auch die Töchter waren eingebunden, gingen an die Tür, nahmen Telefonate entgegen. Berndt: „Bei uns ging die ganze Familie ans Telefon, Anrufbeantworter gab es damals noch nicht.“ Salefsky: „Anrufbeantworter waren von der Kirchenleitung auch nicht gewünscht.“ Andere Zeiten, andere Lebensentwürfe: Die bedingungslose Mitarbeit der gesamten Familie findet man heutzutage so kaum noch.
Heimspiel in Brome-Tülau
Wenn auch die meisten Menschen, die aufs Land ziehen, lebenslang Zugezogene bleiben, Martin Berndt und Andreas Salefsky gehören in die Region. ‚Er ist wieder da‘ titelte das Isenhagener Kreisblatt, als der Superintendent i.R. vier Jahre nach seiner Pensionierung einen mehrmonatigen Gastdienst in Wittingen übernimmt. Auch heute noch – obwohl ihn die Gastdienste mittlerweile bis in den Hasenwinkel gebracht haben – ist seine Telefonnummer bekannt, erreichen ihn gelegentliche Anrufe: „Mein Vater ist gestorben, er wollte von Ihnen beerdigt werden.“ Eine sensible Situation, vielleicht vergleichbar mit Generationswechseln in Unternehmen oder landwirtschaftlichen Betrieben. Martin Berndt und Andreas Salefsky geben Anfragen dieser Art an die aktuellen Pfarramtsinhaber:innen weiter. Was sich so nüchtern anhört, ist durchaus mit Emotionen verbunden – bei allen Beteiligten.
Als im Sommer 2021 die Anfrage des Superintendenten Christian Berndt für den Gastdienst in Brome kam, haben beide nicht lange überlegt. „Brome war für uns ein Heimspiel.“ Die Kirchengemeinden Zasenbeck und Brome hatten in der Vergangenheit vieles gemeinsam gemacht, die Pastoren waren befreundet, der langjährige Bromer Amtsinhaber Günter Proft und Martin Berndt kannten sich aus dem Studium. „Günter Proft verstand es, sich Gehör zu verschaffen“, erinnert sich Berndt, in einem Visitationsbericht bezeichnete er den Kollegen mal als ‚Martin Luther von Brome‘.
The time they are changing. Nicht nur in Brome-Tülau. Work-Life-Balance ist so ein Beispiel, ein Thema, das in Personalgesprächen lange keine Rolle spielte. „Haben Sie neben Ihrem Pastorenberuf noch ein anderes Hobby?“, wurde Martin Berndt manches Mal gefragt. Sicher wissen wir: Gewächshauser werden es nicht sein. „Gastdienst machen ist für mich ein Stück Freiheit“, sagt Andreas Salefsky. „Ich mache nur noch das, wofür ich ausgebildet wurde – die Standfestigkeit von Grabsteinen muss ich nicht mehr überprüfen.“ Kassenprüfung, Baubegehungen, Personalverantwortung wahrnehmen, all das machen die Vakanzvertreter:innen, nicht die Gastdienstler:innen. Die können mit mehr Ruhe als zu Berufszeiten Predigten, Trauerreden und Trauungen vorbereiten. „Ich muss den blauen Sperling nicht mehr abheften“, freut sich Salefsky. „Den gibt es auch nicht mehr“, kontert Berndt. Weiterhin gilt jedoch: Sonntags geht die Arbeit vor.
Herzenswünsche
Lassen sich also die Kasualien für Gastdienstler zeitlich gut planen, liegen die Herausforderungen heute anderswo. Die Konfirmandenarbeit ist ein Beispiel. „Wo ich nicht mithalten kann, das ist die Technik“, sagt der 74jährige Martin Berndt. Die Kids in Brome und Tülau haben es ihm gern erklärt. Konfa sei keine Frage des Alters, meint Salefsky. „Wenn Du mit Jugendlichen zu tun hast, musst Du Dich noch auf den Fussboden setzen, auch als Gesichtsältester.“ Übernachtungen auf Luftmatratzen, wie in den 1990er Jahren bei Freizeiten auf der Hallig Hooge gehören für den 68-Jährigen zwar nicht mehr zum Repertoire, aber im Reformationsjahr 2017 in Wittenberge „habe ich einer Hundehütte geschlafen. Das war schön.“
Ans Aufhören denken beide noch nicht ernsthaft. „Die Kollegen werden wahrscheinlich schnell merken, dass wir wieder Zeit haben“, vermutet Andreas Salefsky. Und äußert einen Herzenswunsch: „Ich möchte die Tochter von Freunden trauen, ich habe sie aufwachsen sehen und ins Leben begleitet.“ Wenn er von diesem Wunsch erzählt, leuchten seine Augen ganz besonders, wird nicht nur spürbar sondern auch sichtbar, mit welcher Herzensverbundenheit Pastor:innen ihren Dienst tun können. Nie wieder auf die Kanzel? Für Andreas Salefsky und Martin Berndt offenbar keine Option. „Solange ich nicht mit dem Rollator kommen muss" - schränkt Martin Berndt gelegentlich ein, wenn er um einen Dienst gebeten wird.
Kirchenkreisöffentlichkeitsarbeit / Frauke Josuweit