Weihnachten ist mehr als Symbolik

Nachricht 23. Dezember 2022
Foto: Öffentlichkeitsarbeit im Kirchenkreis
Dechant Thomas Hoffmann und Superintendent Christian Berndt (Foto: Öffentlichkeitsarbeit im Kirchenkreis)

Seit knapp drei Jahren leben wir gefühlt im Ausnahmezustand – erst Corona, dann der Krieg in der Ukraine und jetzt auch noch Energiekrise. Was Menschen jetzt brauchen und warum gemeinsame Feste wie Weihnachten so wichtig sind, darüber haben wir mit Dechant Thomas Hoffmann und Superintendent Christian Berndt gesprochen.

Weihnachten im dritten Krisenjahr – welchen Grund haben wir, zu feiern?

Christian Berndt  Was mich in der letzten Zeit beschäftigt, ist die Atmosphäre in unserer Gesellschaft. Viele gehen auf die Straße, drücken ihren Unmut aus, Menschen werden nicht nur im Internet immer aggressiver. Wir leben in einer Zeit, in der sich die politische Kultur wandelt, wo nicht mehr debattiert wird, sondern andere Meinungen runtergemacht werden, wo es gleich in die Aggressionen geht. Wenn eine Krise die nächste jagt, was stabilisiert dann, was gibt Orientierung? Was braucht unsere Gesellschaft? Diese Frage taucht an vielen Stellen auf. Und dann kommt Weihnachten.

Thomas Hoffmann  Warum feiern wir Weihnachten? Die Symbole, die wir haben, Licht, Wärme, das ist alles total wichtig. Aber Weihnachten ist mehr als Symbolik. Weihnachten ist ein geschichtliches Ereignis. Jesu Geburt vor 2000 Jahren ist für uns ein geschichtliches Ereignis, das weiter geht. Wir feiern immer wieder neu zu Weihnachten die Geschichte Gottes mit uns Menschen.

Welche Geschichte haben wir denn heute (noch) mit Gott?

Thomas Hoffmann  Einer unserer Priester ist Ukrainer, er ist in der Ukraine seit Kriegsbeginn. Heute habe ich Fotos von ihm bekommen. Insgesamt 30 Generatoren haben wir gekauft und in die Ukraine gebracht. Und in den vergangenen zwei Wochen zwei Photovoltaikanlagen finanziert, die jetzt bereits vor Kinderheimen in der Ukraine stehen und Strom liefern. Strom heißt in der Ukraine auch, dass die Heizungen laufen können. Auf dem Foto, von dem ich eingangs sprach, sieht man die Kinder vor der Photovoltaikanlage. Wir lassen uns etwas einfallen, damit diese Kinder Weihnachten nicht frieren. Das ist für mich ein echtes Weihnachtsmotiv. In einer politisch extrem schwierigen Situation – genau wie damals vor über 2000 Jahren. Da merke ich: Weihnachten ist immer auch noch ein politisches Fest. Nicht nur was Nettes.

Christian Berndt Ich glaube, eine Gesellschaft, auch unsere heutige braucht Feste wie Weihnachten dringend. Feste, Traditionen, Rituale, die strukturieren. Wenn die ganze Welt zu zerfallen droht und es nicht mehr immer weiter nur noch nach vorne geht. Das, worauf wir seit Jahrzehnten ausgerichtet sind – immer mehr Wachstum und Wohlstand – das funktioniert nicht mehr. Wir brauchen als Gesamtgesellschaft eine Rückbesinnung.

Thomas Hoffmann  Wir können nicht alle Ungerechtigkeiten auflösen. Wir sind nicht allmächtig. Aber wir können Zeichen setzen. Das tun wir auch. Bei unserem Caritas-Mittagstisch werden die Schlangen immer länger in letzter Zeit. Ehrenamtliche versuchen da mit viel Einsatz für andere Menschen etwas zu tun. Das ist doch stark, oder?! Auch eine Art Weihnachtsmotiv. Die Geschichte Gottes mit uns Menschen, um darauf noch mal zurückzukommen, geht immer weiter. Und wir sind immer wieder herausgefordert, in diesem Sinne, im Sinne Gottes in dieser Welt zu wirken.

Religion scheint nicht mehr wichtig zu sein, immer mehr Menschen wenden sich von der Kirche ab. Weshalb lohnt es sich, doch noch mal hinzuschauen?

Christian Berndt  Wir als Menschen brauchen eine Deutungsmöglichkeit, die Halt und Orientierung geben kann. Ich glaube, dass Religion an sich darauf durchaus Antworten hat. Wir machen das, was Christenmenschen seit 2000 Jahren machen. Wir versuchen Räume zu eröffnen. Räume, um in Kontakt, in Berührung kommen zu können mit dem, was nicht berührbar ist: Mit dem Grund des Universums. Andere bezeichnen das vielleicht auch als Sinnfrage. Oder fragen sich: Wo kommen wir her und wo gehen wir hin?

Thomas Hoffmann  Wir suchen nach einer Sprache, die heute noch verstanden wird, damit haben wir Probleme. Wir müssen noch mehr zuhören und versuchen, die Menschen und ihre Lebenssituationen zu verstehen, um heute besser sprachfähig zu werden. Auch Kirchen sind lernende Organisationen, die manchmal aber zu langsam lernen. Meine Aufgab als Priester ist, die Frage nach Gott immer offen zu halten. Diese Frage auch ab und zu zu stellen und mit Menschen darüber ins Gespräch zu kommen. Ohne zu sagen: Wir wissen alles, wir können alle Fragen beantworten. Glauben vermittelt sich im Dialog.

Christian Berndt  Warum bricht uns der Rückhalt weg, weshalb wollen Menschen nicht mehr in der Kirche sein? Das müssen wir uns selbstkritisch fragen. Wir haben nicht immer und nicht überall den Job gemacht, den wir hätten machen sollen. Wir haben viel Vertrauen verspielt und Schuld auf uns geladen. Es gibt aber auch Entwicklungen, die gesellschaftlich zu verorten sind. Menschen gucken immer mehr auf sich selbst. Sie engagieren sich weniger; sehen nicht mehr ein, weshalb sie finanziell etwas unterstützen sollten, wenn sie nicht direkt einen persönlichen Nutzen davon haben. Ich denke, es wäre an der Zeit, die eigene Anspruchshaltung zu überprüfen. Wo kann auch ich etwas geben? Die Frage wird aber heute nicht mehr gehört. Manchen geht es zu gut, deshalb hören sie es nicht. Andere haben zurzeit die Hoffnung verloren.

Was haben wir heute dringend nötig?

Christian Berndt  Wir brauchen Pausen. Es braucht das Innehalten, das Auf-sich-selbst-besinnen. Um wieder mit uns selbst Kontakt zu kommen, auch mit anderen Menschen und dann mit dem Universum, mit dem höheren Wesen, mit Gott in Bezug zu sein. Und dort zu Antworten zu kommen, die wir benötigen zum Leben. ‚Denn der Mensch lebt nicht vom Brot allein‘ heißt das in der Bibel. Wir brauchen mehr als das Brot, mehr als das, was wir zum täglichen Leben benötigen. Das ist uns sehr bewusst geworden in den vergangenen Wochen und Monaten. Wir brauchen Wärme. Nicht nur Heizungswärme. Wir brauchen die Wärme von anderen Menschen. Als das brauchen das, denn das ist es, was uns hält im Leben.

Wie feiern Sie persönlich Weihnachten?

Christian Berndt  Heiligabend ist ‚Weihnachten für Ungeduldige‘, wir feiern am ersten Weihnachtstag und machen morgens die Bescherung. Das passt auch gut zu den beruflichen Verpflichtungen eines Pastors; ich werde in diesem Jahr Heiligabend beim Weihnachtsessen für Alleinstehende im Haus der Kirche in Wolfsburg helfen und einen Gottesdienst in der Wolfsburger Nordstadtgemeinde übernehmen.

Thomas Hoffmann  Weihnachten ist für mich ein Familienfest, auf das ich mich freue. Drei Gottesdienste habe ich am Heiligabend, meine drei Geschwister, meine Mutter und mein Neffe kommen zu mir nach Wolfsburg. Ich liebe es, meine Krippe aufzubauen und den Tannenbaum zu schmücken. Durch diese Rituale komme ich in Festtagsstimmung. Auch unsere Kirchen sind geschmückt, am Ende der Gottesdienste singen wir ‚Stille Nacht‘ – das hat etwas geheimnisvoll Erhabenes. Das tut gut, dann fällt viel von mir ab. Und trotzdem bin ich auch Theologe und sage: Es geht nicht nur um das Symbolische. Weihnachten hat hoffentlich auch Auswirkungen auf unser Miteinander und auf die Welt. Es gab sehr oft Waffenstillstand zu Weihnachten; ich hoffe, dass es das in diesem Jahr auch gibt!

Öffentlichkeitsarbeit im Kirchenkreis / F. Josuweit

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