Den Menschen würdigen

Nachricht 17. November 2022
Foto: Kirchenkreisöffentlichkeitsarbeit / F. Josuweit

Vikarin Louisa Pandera schreibt Examensarbeit zur Bestattungskultur

26 Monate in einem Ort leben und arbeiten, wo Du niemanden kennst? Mitten in der Corona-Zeit? „Bei den Ortswünschen für mein Vikariat hatte ich angegeben, dass mein Mann in Gifhorn arbeitet. Ich kenne mich um Hannover herum ein bisschen aus, aber Jembke hatte ich noch nie gehört“, erinnert sich Louisa Pandrra.

Jembke also, 15 Kilometer nördlich von Wolfsburg. Ein Glücksgriff, es hätte nicht besser sein können, sagt sie nach nunmehr zwei Jahren. Nur ein Gartenzaun trennt ihre Wohnung vom Pfarrhaus, ihr Mann kann problemlos nach Gifhorn pendeln, die Gemeindepastorin und ihre Vikarin mögen sich auf Anhieb. „Mit Verena sitze ich oft noch nach dem Gottesdienst zusammen, wir quatschen und trinken auch mal ein Bier. Eigentlich hätten wir eine Pforte in den Zaun einbauen müssen, so viel, wie wir auch im Alltag miteinander zu tun haben.“

Weitere Freundschaften finden sich schwer in der Coronazeit. „Ich war manchmal kurz davor, einfach Menschen im Supermarkt anzusprechen.“ Die Gemeinde entschädigt die junge Vikarin. „Mir wurde viel zugetraut, ich wurde sehr unterstützt. Mach‘ mal, guck mal, ob das funktioniert, habe ich oft zu meinen Ideen gehört. ‚Wir vertrauen darauf, dass Du das gut machst und sag‘ Bescheid, wenn Du was brauchst‘ – so durfte ich hier arbeiten und lernen.“

Menschen- und lebensbejahend arbeiten

Pastorin wär‘ eigentlich ein guter Beruf, dachte sich Louisa Pandera in der elften Klasse. „Ich wollte einen Beruf, in dem Menschen gut miteinander umgehen. Als Pastorin habe ich einen menschen- und lebensbejahenden Beruf.“ So richtig gereift ist die Entscheidung, Theologie zu studieren, im freiwilligen sozialen Jahr. Ein Jahr in einer life-sharing-community in Griechenland, vergleichbar einem SOS-Kinderdorf, allerdings für erwachsene Menschen mit Einschränkungen Ganz unverstellt sei das Leben dort gewesen, alltagsnah, kein high-end-Leben. „Ich habe in diesem Jahr mit so vielen völlig unterschiedlichen Menschen zusammengearbeitet“, berichtet Pandera – eine super Vorbereitung für gemeindliches Leben.

Viele von Panderas Studienfreunden sind Pastorenkinder, sie selbst wurde katholisch getauft. Die Mutter konvertiert mit beiden Kindern, da ist sie neun Jahre alt. „Erwachsene wissen manchmal gar nicht, was Kinder sich so ausdenken. Ich hatte Albträume, dass wir vor ein Gericht müssen, wenn wir aus der katholischen Kirche aussteigen.“ Die Ängste werden nicht Realität, Louisa Pandera geht zur Kinderbibelwoche, wird Teamerin, leitet den Kindergottesdienst mit ihren Freund:innen. Einen davon wird sie später heiraten.

Der Tod – ein Partythema?

„Ein Teil meiner Freund:innen ist die ‚Atheistengruppe‘. Und mit den anderen kann es passieren, dass wir auf Partys über die Vorteile von Urnenbestattungen diskutieren. Für mich ein ganz normales Partythema.“ Es sei schon auch manchmal eine seltsame Bubble, wo so etwas selbstverständlich ist. Vielleicht wie bei Chirurgen, deren Partythemen sich auch nicht für jedermann eignen. „Der Umgang mit Sterben und Leben ist kein Tabuthema. Ich darf mich beruflich damit beschäftigen, das ist ein Privileg.“ Und so schreibt sie Examensarbeit über Beerdigungskulturen, genauer gesagt über individuelle Bestattungen. „Beerdigungen waren in meinem Vikariat einfach schön. Offen. Ehrlich. Lebensnah.“

Die 27jährige Fast-Pastorin möchte kirchliche Bestattungen individueller gestalten. Corona habe da mehr möglich gemacht, die Scheu, auch mal was anderes zu probieren, habe sich verringert. Kleine Rituale einführen, die mit dem Leben und den Vorlieben der Verstorbenen zu hätten, möchte Pandera. Lavendel ins Grab streuen, nicht nur Erde, dem Menschen einen wichtigen Gegenstand seines oder ihres Lebens mit auf die letzte Reise geben. Oder die Musik der Trauerfeier mal verändern.

Den Menschen gemäßer werden

„Popsongs sind oft total religiös. Wir können doch nicht sagen: Ihr dürft euer Leben so gestalten, wie ihr wollt, aber bei der Beerdigung folgt ihr dann bitte wieder unseren Regeln. Das geht nicht mehr auf.“ Die Befürchtung, Kirche werde profillos, wenn sie alles erlaube, teilt Pandera nicht. „Nee, wir werden einfach den Menschen gemäßer.“ Kirchen stehen mitten im Dorf und dennoch umgäbe sie eine unsichtbare Grenze, erlebt sie. Kirche hingegen als ein Ort, wo man man selbst sein kann, ein Ort, an den man gern ist, eine Gemeinschaft, in der man gern seine Freizeit verbringt, ohne die Befürchtung, bewertet zu werden. „Das ist mein ganz großer Wunsch.“

Unter die Haut gehen soll es nach Panderas Wunsch. Es soll nichts mehr glattgebügelt werden, es darf unperfekt sein. „Gerade Bestattungen sind dazu da, Gefühle rauszulassen, nicht zu bewerten. Es geht nicht darum, die Trauer wegzuwischen.“ Ihre erste Beerdigung hielt die junge Theologin einen Tag vor Heiligabend. „Das war Frieden für mich. Total.“ Es war eine Urnenbestattung, die ihr die ausreichend Vorbereitungszeit gab. „Ich konnte in Ruhe nach Worten suchen für eine tröstliche Botschaft. Ich durfte die Familie ein Stück begleiten und durfte einem Menschen einen würdigen Abschied geben.“ In 20 Minuten menschenwürdig Abschied nehmen, das sei nicht möglich, so sollte es nicht sein, findet Louisa Pandera.

Sekt zum Abschied

Die Beerdigung als letzte Feier wäre eine Möglichkeit, das Leben in die Beerdigungskultur hineinzunehmen. „Ich habe es so erlebt bei der Beerdigung meiner Patentante. Alle kamen in den Farben des Lebens, in ihrer Alltagskleidung also. Es fühlte sich für mich wirklich so an wie eine große Party.“ Es gehe um die Würdigung des Menschen, von dem man sich verabschiede. Ein Fest müsse es sein, mit einer Festgemeinschaft. Und frühzeitig mit nahestehenden Menschen darüber zureden wäre gut, findet sie. Nicht nur die Altersvorsorge und den nächsten großen Urlaub planen, sondern auch über das Ende reden. „Das hätte für mich etwas Beruhigendes, etwas sehr Tröstliches. Auf meiner Beerdigung wünsche ich mir, dass Sekt getrunken wird.“

Öffentlichkeitsarbeit im Kirchenkreis / F. Josuweit

... Menschen - Themen - Orte