„Die Stelle war genau richtig für mich!“

Nachricht 13. Dezember 2023
Foto: Kirchenkreisöffentlichkeitsarbeit

Kindergarten von 8 bis 12 Uhr, Veränderung von Frauen- und Rollenbildern, Kampf für Ganztagsbetreuung, Krippen für Kleinkinder, Inklusion, kulturelle und sprachliche Integration, Pandemie-Notbetrieb, Personalmangel, Überforderung – Kerstin Heidbrock hat in 45 Berufsjahren das ganze Portfolio politischer und gesellschaftlicher Entwicklungen miterlebt und vor allem mitgestaltet. Dass sich die 65jährige jetzt in den Ruhestand verabschiedet, ist kaum vorstellbar.

 

Erzieherin wollte Kerstin Heidbrock gar nicht werden. „Ich hatte schon immer eine große Affinität zu Sprachen und wollte etwas im Fremdsprachenbereich machen“, beginnt sie das Gespräch. Das ließ sich damals nicht realisieren und so wurde die junge Frau halt Erzieherin. Ein Beruf, der in den 1970ern für Frauen nicht existenzsichernd war. „Viele Frauen waren gar nicht berufstätig, auch wir als Erzieherinnen hatten Schwierigkeiten, Ganztagsstellen zu bekommen.“ Das Rollenbild für Frauen war klar umrissen: Hausfrau und Mutter.

Kerstin Heidbrock schlägt einen anderen Weg ein. „Ich habe viel Zeit in meinen Beruf gesteckt, Weiter- und Fortbildungen an Wochenenden absolviert, mich richtig reingehängt.“ Das gilt auf für das Studium zur Sozialmanagerin, das sie berufsbegleitend absolviert. Bereits kurze Zeit nach der Ausbildung wird die gerade 21jährige stellvertretende Leiterin einer Kita, mit 22 Vakanzvertreterin, mit 23 Leiterin einer großen Kita. „Das liegt mir, habe ich schnell gemerkt.“ Sie bleibt im Führungsbereich, entscheidet sich bewusst für diesen Weg. „Das, was ich gemacht habe in den ganzen Jahren, ist im Wesentlichen Personalmanagement.“ Die Verantwortung für die Weiterentwicklung der Kitas ist gleichwohl eine pädagogische Aufgabe und auch das hat die Diplom-Sozialwirtin intensiv betrieben.

Frauen drängen in den Beruf

Kindergarten von 8 bis 12, die Kinder ein bisschen auf die Schule vorbereiten – so war es vor 45 Jahren. Das änderte sich, denn Frauen wollten mehr, erhielten bessere Ausbildungen und wollten selbst berufstätig sein. Dafür brauchte es in den Kindergärten andere Öffnungszeiten, der Ruf nach Ganztagsbetreuung wurde immer lauter. „Das waren damals richtige Kämpfe, Ganztagsgruppen oder Hortgruppen für Schulkinder am Nachmittag durchzusetzen!“ Kerstin Heidbrock hat heute noch im Kopf, was ihr damals aus der Politik entgegengebracht wurden: Wir finanzieren doch nicht die Selbstverwirklichung von Frauen! Angesichts des zunehmenden Fachkräftemangels in vielen Bereichen unserer Gesellschaft schüttelt man/frau da heute nur verständnislos den Kopf.

Die nächste Herausforderung folgte, als Kinder mit Einschränkungen nicht mehr nur über Lebenshilfe & Co. betreut werden sollten, sondern in Kindergärten und Kindertagesstätten integriert wurden. Ein erster Schritt in Richtung inklusiver Bildungslandschaft. Auch das eine soziale Errungenschaft, die uns heute ganz selbstverständlich erscheint. Der nächste Schritt: Krippenerziehung. In der ehemaligen DDR Alltag, in Westdeutschland eine Randerscheinung, für eine gelingende Berufstätigkeit auch von Müttern aber unerlässlich.

Vorteile für Krippenkinder

„Rabenmütter wurden berufstätige Frauen damals häufig bezeichnet, ein Wort, das es nur in Deutschland gibt. Wie gut ist die Krippe für die Kleinen, ist das überhaupt gut? Diese Fragen kamen natürlich sofort“, erinnert sich die Diplom-Sozialwirtin. Der Rest ist Geschichte, denn allen ideologischen Auseinandersetzungen zum Trotze hat sich die Betreuung von Kindern unter drei Jahren bekanntermaßen durchgesetzt und gehört heute zum Kita-Alltag. Mit durchaus positiven Auswirkungen für Kinder. „Krippenkinder sind sehr viel schneller selbständig, die Sprachentwicklung läuft schneller ab. Aber, das ist unerlässlich: Kinder brauchen Bezugspersonen!“ Sie brauchen kleine Gruppen, stellt Kerstin Heidbrock klar. „Krippen müssen personell gut ausgestattet sein, sonst geht es nicht!“

Beziehungsaufbau, Bindung und emotionale Entwicklung sind nicht nur, aber besonders für die ganz Kleinen unabdingbar. „Da – noch mehr als in anderen Bereichen unserer Kitas – brauchen wir Erzieher:innen, die hoch-empathisch sind.“ Stabilität sei enorm wichtig, angesichts des sich verschärfenden Fachkräftemangels ist das jedoch ein zunehmendes Problem. 15 Krippenkinder haben zurzeit in unseren Wolfsburger Kitas drei Erzieher:innen, verpflichtend sei die dritte Kraft jedoch noch nicht. „Besser wären 12 Kinder mit drei Erzieher:innen.“ Das, was in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten aufgebaut und erreicht wurde, gelte es jetzt zu erhalten. Dafür braucht es Fachkräfte mit solider, qualitativ hochwertiger Ausbildung und Befähigung für die Elementarpädagogik.

„Momentan ist der Kita-Bereich nicht mehr verlässlich. Wir schließen ständig.“ Stellenvakanzen seien mittlerweile normal, kommen dann noch akute Krankheiten oder Langzeiterkrankungen auch bei jungen Menschen hinzu, werde es eng für die Kitas. Es brauche dringend weitere finanzielle Ressourcen im Bildungsbereich, reklamiert Kerstin Heidbrock und fordert damit andere politische Rahmenbedingungen. Die Gruppen seien zu groß, die Räume zu klein: 50 Quadratmeter für 25 Kinder, so die gesetzliche Vorgabe. „Wir machen es konzeptionell so, dass die gesamte Kita Lebens- und Erfahrungsraum ist. Wir öffnen die Gruppen, arbeiten gruppenübergreifend.“ Gleichzeitig wird die gezielte Unterstützung und individuelle Begleitung der Kinder immer wichtiger, immer mehr Kinder kommen mit wirklichen großen Herausforderungen, sei es aufgrund sprachlicher Barrieren oder mit Problemen beispielsweise aus dem Autismusspektrum.

Inklusive Bildung in Gefahr

„Die Gruppen sind zu groß! Wir brauchen heilpädagogische Kleingruppen, wir brauchen andere Gruppenformen, um überhaupt den Gedanken inklusiver und gleichberechtigter Bildung umsetzen zu können. Sonst scheitern wir.“ Letztendlich seien dann alle Verlierer: Kinder mit Einschränkungen und Kinder ohne Einschränkungen. Weil die Erzieher:innen gar nicht mehr auf jedes Kind so eingehen können, wie es nötig wäre. „Wir haben zunehmend Kinder in unseren Einrichtungen, die eine 1:1-Betreuung brauchen.“ Auch die Integration von Kindern mit Migrationshintergrund brauche andere Kapazitäten und Rahmenbedingungen. „Allein, den Kindern zu helfen, mit der deutschen Sprache vertraut zu werden, braucht mehr Zeit und Personalkapazitäten. Das geht in unserem alten System nicht mehr.“

Politische Vorgaben, Rahmenbedingungen vor Ort und Realität passen nicht mehr zusammen, ist sich die Pädagogische Leiterin von 15 evangelischen Einrichtungen in Wolfsburg sicher. Eine Gemengelage verschiedenster Herausforderungen, die neue Lösungen benötigen. Kein Wunder, dass Erschöpfungserkrankungen wie Burn Out und Depressionen gerade Fachkräfte in den Kitas zunehmend ereilen. „Dieser Beruf fordert gerade so viel, dass unsere Fachkräfte verstärkt krank werden.“

Pionierarbeit in Wolfsburg

Dass Kerstin Heidbrock quasi auf dem Absprung ist, ist im Gespräch nicht erkennbar, so engagiert ist sie nach wie vor für ihre Berufsthemen. Manches, auch wichtige Errungenschaften, die unsere Kitas in Wolfsburg der Diplom-Sozialwirtin zu verdanken haben, bleibt ungenannt.

Beispielsweise, dass Kerstin Heidbrock sich früh für Familienzentren stark gemacht und dafür den ‚early-excellence‘-Gedanken nach Wolfsburg geholt hat. Ziel des in Großbritannien entwickelten Konzeptes für Frühpädagogik ist es, Bildungs- und Teilhabechancen für Kinder und deren Familien zu schaffen. Mit diesem Ansatz wurde im Jahr 2008 unser Paulus Kinder- und Familienzentrum am Laagberg das erste seiner Art in Wolfsburg. Auch das Diakonie-Kolleg, das in Kooperation mit der Dachstiftung Diakonie und dem hannöverschen Stephansstift Erzieher:innen in Wolfsburg ausbildet, hätte es ohne Kerstin Heidbrock Wolfsburg nicht gegeben.

14 Jahre ist sie Tag für Tag von Celle nach Wolfsburg gefahren. „Das hat mir auch geholfen“, sagt sie. Berufliches und privates Leben waren so stets getrennt, auch räumlich. „Dadurch konnte ich gut abschalten., habe wenig mit nach Hause genommen. Ich habe es auf der Fahrt abgeschüttelt.“ Ganz große Probleme selbstverständlich ausgenommen.

Jetzt kommt Zeit für anderes, gleich im Januar geht es los mit alten Leidenschaften: Der erste Französisch-Refresher-Kurs ist bereits gebucht, auch Italienisch steht noch auf der Liste. Gern ist Kerstin Heidbrock mit Partner und Freund:innen mit dem Fahrrad unterwegs, wandert und geht ins Theater. „Ich genieße es, in guten Weingegenden zu wandern. Ich mag die schönen Seiten des Lebens.“

Öffentlichkeitsarbeit im Kirchenkreis / Frauke Josuweit

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Neue Pädagogische Geschäftsführerin

Stefanie Heidemann-Müller ist als Pädagogische Geschäftsführerin Nachfolgerin von Kerstin Heidbrock. Die 44jährige ist staatlich anerkannte Erzieherin und Kindheitspädagogin (B.A.). Sie arbeitete viele Jahre im Bereich Kindertagesstätten als Erzieherin sowie als Kita-Leiterin und anschließend als Kita-Koordinatorin in der Verbandsgemeinde Flechtingen. Sie ist Vorstandsmitglied der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Sachsen-Anhalt und hat ihr Masterstudium im Bereich der Frühpädagogik fast abgeschlossen.