Bernd Steinke erhält das silberne Facettenkreuz der Landeskirche
Mit der Kirche ist Bernd Steinke länger verheiratet als mit seiner Frau. Seit 50 Jahren engagiert er sich ehrenamtlich. „Wenn ich Verantwortung übernehme, aber dabei gezwungen bin, Dinge zu machen, die ich nicht machen will, dann lasse ich das ganz schnell sein“, erzählt er. Er habe aber die Freiheit gehabt, die Kirche mitgestalten zu können. Grund genug für einen, der Freiheit und Verantwortung gleichermaßen schätzt, ein halbes Jahrhundert zu bleiben.
Wo er nicht bleiben wollte, blieb er nicht in seinem Leben. Wegen einer Fünf in Musik schmeißt Bernd Steinke die Realschule und geht 1968 nach einem guten Volksabschluss in die Lehre bei Volkswagen. „Die mussten mich nehmen mit dem Zeugnis. Deshalb habe ich auch nur diese einzige Bewerbung geschrieben.“ Drei Jahre später ist er Maschinenschlosser und aktiv bei der IG-Metall-Jugend. Da ist er nicht zufrieden. Bei VW auch nicht. „Ich war schon auf dem Sprung, hatte während der Lehre die Mittlere Reife nachgeholt.“ Am Technischen Gymnasium in Wolfsburg macht er 1975 sein Abitur, anschließend Zivildienst bei der Kirche. 1952 geboren in Wolfsburg und immer dortgeblieben, Maschinenschlosser im Erstberuf und dann nicht bei VW arbeiten – wie geht das?
„Es ging nicht. 1984 bin ich wach geworden und war wieder da bei VW – unbeabsichtigt.“ Der Weg dahin ist bewegt. Nach dem Zivildienst studiert er. Ausgerechnet Chemie – ein Studiengang, der nicht zu Unrecht als lernintensiv, schwierig und damals auch noch sehr konservativ bekannt ist. Nach dem Vordiplom kommt das böse Erwachen. „Ich habe bei meiner Studienwahl eines nicht bedacht – dass man promovieren muss.“ Also noch mal mindestens fünf Jahre an der Uni bleiben. Aber die langjährige wissenschaftliche Arbeit war kein Garant für einen Arbeitsplatz, dennoch: Ohne Promotion ging es gar nicht. „Da musste ich eine Entscheidung treffen, wir hatten zu dem Zeitpunkt schon ein Kind.“
"Es war ein Glücksfall, dass der Staat mich nicht wollte"
Steinke sattelt um und will Lehrer werden. 32 Jahre ist er 1984, als er das Zweite Staatsexamen in der Tasche hat. Und wieder ist er in einer Sackgasse, denn Lehrer werden in den 1980er Jahren nicht mehr eingestellt. „VW hat damals Leute gesucht, elf Monate habe ich am Band gearbeitet. Einfach Geld verdient.“ 1985 bekommt er erneute Absagen auf Bewerbungen als Lehrer – und stattdessen die Chance, bei VW in den Bildungsbereich zu wechseln. „Es war ein Glücksfall, dass der Staat mich nicht wollte.“ Steinke bleibt bei Volkswagen, bis er 65 ist. Versuchen, ihm den Vorruhestand schmackhaft zu machen, widersteht er. „Wie sich das gehört, ich habe es bis zum Ende durchgezogen.“
Mathe, Chemie und Werkstoffkunde unterrichtet er anfangs, auf der Schulbank vor ihm sitzen die Meister und Vorarbeiter von Volkswagen. Prüfmethoden und Mitarbeiterführung kommen später hinzu. 23 Mitarbeitende inklusive der Sekretärinnen sind es bei der Volkswagen-Abteilung ‚Bildungswesen‘ Mitte der 1980er Jahre. „Kurz bevor ich in den Ruhestand gegangen bin, waren es allein 36 Mitarbeitende, die sich nur mit Sprachtrainings und überfachlicher Qualifizierung, also Personalentwicklung, beschäftigt haben.“ Von der Volkswagen-Abteilung ‚Bildungswesen‘ zur Volkswagen Group Academy – Steinke war mittendrin.
„Ich war zum Schluss im Management und habe den Personalbereich geleitet, der sich mit Personalentwicklung für Meister und Führungsnachwuchskräfte beschäftigt hat. Und zwar weltweit.“ Generationen von VW-Mitarbeitenden sind durch Steinkes Schulungen und Trainings gegangen. Steinke macht keine großen Worte, die relevantesten Informationen gibt er nur beiläufig preis, seine Stimme wird noch etwas heiserer dabei. Er ist keiner, der um den Gesprächspartner wirbt. „Zum Ende bin ich noch das geworden, was ich gar nicht werden wollte, nämlich Führungskraft.“
"Aufs Gymnasium durfte ich nicht"
Als Führungskräftetrainer war er bis zu 120 Tagen im Jahr außerhalb von Wolfsburg tätig, verbrachte sein Leben in Hotels und kam erst am Freitagabend nach Hause. „Ich war mein eigener Herr, es war ständig was Neues.“ Freiheit, der Wunsch, selbstbestimmt zu sein, sich immer weiter zu entwickeln, das sind die roten Fäden, die sich durch sein Leben ziehen. Aufgewachsen ist Bernd Steinke in einer Familie, die von Vertreibung, Flucht und Kriegsgefangenschaft geprägt war und ihm keine beruflichen Perspektiven aufzeigen konnte, die seinen Befähigungen entsprach. „Aufs Gymnasium durfte ich nicht, weil nur zwei aus der Klasse dorthin gehen durften: Der Sohn vom Lehrer und der Sohn vom Pastor.“
Bernd Steinke findet dennoch einen Weg dorthin, wo er das leisten darf, was er zu leisten vermag. Lebenslang bewegt er sich im Spannungsfeld von Freiheit und Verantwortung. Familiär durch Entwurzelung geprägt verwurzelt er sich in Wolfsburg – und in der Kirche. Die beiden Konstanten Ehrenamt in der Kirche – und dort schon in jungen Jahren mit Leitungsverantwortung – und die Familie ziehen sich ebenso durch wie das Ausbalancieren von Freiheitsverlangen und der Übernahme von Verantwortung.
Gottes Bodenpersonal
Dass er in der Kirche Verantwortung übernimmt und das bereits ununterbrochen für ein halbes Jahrhundert, war keineswegs selbstverständlich. „Ich wurde rauskonfirmiert.“ Punkt. Eigentlich möchte er darüber auch gar nicht weitersprechen. „Das war damals ein Schlag in den Nacken – ganz frei von dem Thema bin ich heute noch nicht.“ Auf keinem Konfirmationsfoto ist Steinke zu finden, obwohl er dabei war. „Ich habe mich nicht in die Konfirmandengruppe gestellt.“ Es war wegen des Bodenpersonals, sagt er, und eigentlich sei das nicht zum Zitieren. Der Onkel von Bernd Steinke dokumentiert die Konfirmation mit der eigenen Kamera –der Film ist damals gerissen und zwar längs.
Vier Jahre später spricht ihn ein Jugenddiakon der damaligen Industriediakonie an, zeitgleich lernt er seine Frau kennen, beide engagieren sich ab 1971 in der Jugendarbeit der Wolfsburger Arche. „Da bin ich hängengeblieben, irgendwann gehörte es zu meinem Leben.“ Dort wird er ernstgenommen, dort darf er machen. „Ich wurde wie ein vollwertiges Mitglied der Gemeinde behandelt.“ Die Zeit der Jugendarbeit ist für Bernd Steinke Anfang der 1980er vorbei. „Irgendwann passt man nicht mehr in die Kinder- und Jugendarbeit.“ Er übernimmt Verantwortung, seit 1982 ist er bis heute durchgängig im Kirchenvorstand. „Die ersten drei Jahre habe ich nur gelernt.“ Dann wird er stellvertretender Kirchenvorsteher, später Vorsitzender des Kirchenvorstandes. Zunächst in der Arche, heute in der Stadtkirchengemeinde in Wolfsburg. Auch auf Kirchenkreisebene engagiert er sich, ist langjähriges Mitglied im Finanzausschuss und aktuell auch im Strukturausschuss. Zwischendurch tritt er mal in die zweite Reihe zurück. „Das war es zu viel neben der Führungsverantwortung bei VW.“
Dass er bleibt, hat auch mit Freiheit zu tun. Mit der Freiheit, gestalten und machen zu dürfen. Mit dem Vertrauen, das man ihm gerade in jungen Jahren entgegengebrachte. Das Bodenpersonal Gottes in der „roten Arche“ traute ihm was zu, ermunterte ihn zum Engagement. Als der 19-Jährige hundert D-Mark vor dem Finanzausschuss für die Jugendarbeit beantragte, um Schallplatten zu kaufen, sagte der zuständige Pastor Ehlers: „Nein. Da mache ich nicht mit.“ Steinke verstand nicht, was Ehlers meinte. „Wenn Du jetzt mit 100 Mark kommst, bist Du doch in zwei Wochen wieder da.“ Der Ausschuss genehmigte also zweihundert D-Mark, damit Steinke nicht gleich wieder nach Geld fragen musste.
Besser ohne Zwang
Steinke hat sich in der Kirche verwurzelt, die Familie zieht mit, gibt ihm Rückendeckung. „Ich habe eine starke Frau, die viel getragen hat, sonst hätte ich das alles nicht machen können.“ Auch die beiden Töchter haben es mitgetragen, auch wenn sie dafür oft auf den Vater verzichten mussten. „Ich habe meine Kinder nie gezwungen, mitzumachen. Die machen oder machen nicht.“ Zwingen will Steinke auch andere Menschen nicht. Leider versuche Kirche das immer noch. Das habe sie auch bei ihm früher versucht und gefordert, er müsse zum Sonntagsgottesdienst kommen „Das war ganz schlecht, denn da habe ich Fußball gespielt.“
Steinkes Langzeit-Engagement ist kein Zukunftsmodell. „Wenn jemand temporär was bei uns macht, sollten wir uns freuen und nicht immer noch mehr von ihm fordern.“ Wer eine Pause brauche oder gehen wolle, den solle man gehen lassen. „Der kommt dann schon wieder. Vielleicht auch zu einer anderen Gemeinde. Wir müssen unser Kirchturmdenken beenden.“ Die feste Standortkirche habe keine Zukunft, man werde die Menschen künftig nur noch über Schwerpunkte erreichen. Inhalte müssten wieder in den Vordergrund rücken, nicht die Orte, an denen sie verkündet würden. „Die Botschaft der Kirche muss wieder klarer werden.“ Mut und Mut zur Wahrheit brauche es, die Dinge, die gemacht würden, müssten richtig gemacht werden, nicht jede und jeder sollte alles machen wollen oder müssen.
„Wir können es nicht allen recht machen. Ich bin überzeugt: Wenn wir wieder eine klare Botschaft haben, kommen die Menschen zur Kirche zurück.“ Für Bernd Steinke ist in zweieinhalb Jahren Schluss mit dem Ehrenamt, dann sind Steinkes fast 50 Jahre verheiratet. „Dann bin ich 72, dann ist die Familie dran.“
Öffentlichkeitsarbeit im Kirchenkreis / Frauke Josuweit