„Ich bin neugierig auf Menschen“

Nachricht 22. Juni 2023
Foto: Kirchenkreis-Öffentlichkeitsarbeit

Klinikseelsorger Wolfram Bach geht in den Ruhestand

Frieden sei dort, wo Menschen ihr Auskommen haben mit allem, was sie bräuchten, sagt Wolfram Bach. Wer mit ihm über sein Berufsleben spricht, erlebt friedvolles Einverstandensein mit dem, was ist. „Meine letzten Berufsjahre hier in Wolfsburg waren eine erfüllende Zeit“, sagt der leitende Klinikseelsorger, der seit über sieben Jahren insbesondere schwerstkranke Menschen begleitet. Er geht mit einem weinenden Auge: „Von meiner Lebenserfahrung her könnte ich das jetzt gut noch weitermachen.“

 

Wolfram Bach gehört zu denen, die gern zum Konfirmandenunterricht gegangen sind. „In den frühen 1970er Jahren war Kirche fortschrittlich, ein Freiraum. Auch bei uns auf dem Land.“ Ein junger Pastor, prägende Gemeinschaftserfahrungen in einer großen Jugendgruppe, eine Kirchengemeinde, die er als lebendigen Ort erlebt, lassen den Wunsch wachsen, Theologie zu studieren. Als er 1987 nach dem ersten theologischen Examen wie viele seiner Kommilliton:innen auf eine Vikariatsstelle warten muss, macht er das, was er bereits jahrelang während des Studiums gemacht hat: Er arbeitet als Pflegehelfer. „Das war für mich eine Schule fürs Lebens.“ Pflege sei, damals wie heute, nicht nur emotional, sondern auch körperlich sehr anstrengend. Hilfsmittel wie Lifter benötigten Zeit, die im Alltag schon damals nicht gegeben schien, stattdessen wurde die Körperkraft der Pflegenden eingesetzt, um Zeit zu sparen.

Als es ins Vikariat geht, ist Wolfram Bach bereits Familienvater, mit Kind und Kegel geht es in den Hamburger Speckgürtel. Die erste Pfarrstelle bringt ihn 1991 zurück in vertrautere Gefilde, nach Fallersleben. „Tiger und Bär ziehen aus, die Welt kennenzulernen, um am Ende dort wieder zu landen, wo sie hergekommen sind. Da sehen sie erst, wie schön Panama ist“, erinnert er sich an ein Kinderbuch von Janosch. „Ein bisschen geht es uns auch so“, schmunzelt er, denn seit knapp einem Jahrzehnt lebt er mit seiner Frau wieder ins Fallersleben. Acht Jahre ist Familie Bach in der dortigen Michaelisgemeinde, drei Pfarrstellen waren es damals noch, Horst-Ulrich Braun, ein älterer Kollege und ein Diakon, erinnert sich Wolfram Bach. „Das war eine sehr schöne Zusammenarbeit, sehr kollegial, sehr teamorientiert. Wir haben an einem Strang gezogen.“ Ein guter Start sei es gewesen, die erfahreneren Kollegen hätten ihn einfach reingenommen.

Nie richtig dazugehören

Irgendwann auf die Vierzig zu schleicht sich das Gefühl ein, noch mal etwas anderes erleben zu wollen. Mit mittlerweile drei Kindern geht Familie Bach nach Ostfriesland und dann noch in den äußersten Zipfel bei Norddeich. Auch hier sind es drei Pfarrstellen, in einem großen Kirchspiel. „Uns ist es da gut gegangen, auch im Dienst. Die Menschen waren toll, die Gemeinde war toll.“ Dennoch: Ostfriesland muss man kennen und können. „Plattdeutsch gehört ja noch viel mehr zum Alltag als hier bei uns in Heide, noch dazu ein ganz anderes Platt. Menschen können dort ein Vierteljahrhundert leben und arbeiten, sie bleiben trotzdem Zugezogene und gehören nicht richtig dazu.“

Panama im Hintergrund der Seele. „Wir merkten, wie weit ab vom Schuss es dort ist. Freunde oder Familie besuchen ging nur mit Übernachtung, eben mal schnell irgendwo hinfahren ging gar nicht.“ All das ist letztlich nicht der Grund, weshalb Bachs an der Nordsee nicht sesshaft werden. Für eine Familie mit drei Kindern war es in der Region schwer, dass beide Elternteile voll berufstätig sein können. Nach vier Jahren geht es zurück in die Region um Wolfsburg herum, Wolfram Bach übernimmt für die kommenden 12 Jahre die Gemeinde in Calberlah im Kirchenkreis Gifhorn.

Die beruflichen Weichen neu stellen

Die Frage ‚Wo bleiben wir eigentlich mal auf Dauer?‘ ist damit aber nicht abschließend beantwortet, immer wieder mal taucht Panama auf. „Ich wollte gern nach Fallersleben zurück, da fühlte ich mich zuhause und es ist nicht ganz so eng wie Dorf.“ Ein Hauskauf stellt auch die berufliche Frage noch mal neu: Im Pfarramt bleiben oder in einen übergemeindlichen Dienst wechseln? Als Referent der Stadtsuperintendentur in Hannover pendelt Wolfram Bach fortan. „Wenn Du als Gemeindepastor jahrzehntelang gewohnt bist, selbständig Verantwortung zu tragen, ist eine zuarbeitende Stelle ungewohnt.“ Als in Wolfsburg dann die Leitung der Klinikseelsorge vakant wird, bewirbt sich der damals 57-Jährige und stellt damit seine beruflichen Weichen noch einmal neu: Mit halber Stelle in der Klinikseelsorge und mit der zweiten halben Stelle als Gemeindepastor in Hattorf.

„Ich habe die Arbeit mit Menschen geliebt in den 25 Jahren als Gemeindepastor. Ich habe immer gern Gottesdienst gefeiert, ich predige gern, ich habe immer gern Menschen getraut.“ Die Vielfalt der Aufgaben, mit Menschen aller Generation im Kontakt sein, im Laufe des eigenen Berufslebens altersentsprechend neue Schwerpunkte setzen zu können, das ermögliche der Pastorenberuf. Als junger Pastor und junger Familienvater engagiert er sich gemeinsam mit Kollege Braun für die Michaelis-Kita, feiert dort Gottesdienste und Familienfeste, initiiert Familienarbeit, Elternkreis, Familienfreizeiten und Spielkreise in der Gemeinde. Ein paar Jahrzehnte später und älter bietet Bach Pilgertouren für Männer an; die Arbeit in der Gemeinde und die Pilgertouren hat er bereits im vergangenen Jahr in jüngere Hände übergeben.

Lebenserfahrung wertvoll

Nun verabschiedet er sich auch im Wolfsburger Klinikum. Eine sinnvolle Arbeit, sagt er. „Da macht man nicht lange Small-Talk, sondern kommt schnell auf die Themen, die den Menschen wirklich beschäftigen.“ Einfach zuhören, nicht fromm daherreden, darum gehe es. Wolfram Bach ist ein Mann der leisen Töne, geht es um ihn persönlich, werden seine Formulierungen geradezu sachlich. „Da ist ein weinendes Auge bei mir dabei, denn von meiner Lebenserfahrung her könnte ich das jetzt gut noch weitermachen.“ Lebensalter und Lebenserfahrungen seien bei dieser Arbeit ausgesprochen wertvoll. „Wenn ich hier zu Hochbetagten komme, wissen die zu schätzen, dass da kein Jüngling bei ihnen am Bett sitzt. Sie müssen mir nicht die Welt erklären.“ Für die Menschen mitten im Leben sei er auch noch lebendig genug und für die Jüngeren fast wie ein väterlicher Begleiter. „Uns Seelsorgenden wird viel Vertrauen geschenkt. Ich erlebe es als Geschenk, mit Menschen sehr schnell in Kontakt zu kommen.“

Menschen sehnen sich nach Heilung

Er kann das einfach. Offenheit, die Bereitschaft, sich auf Menschen einzulassen, ihnen wirklich von Person zu Person auf Augenhöhe begegnen, brauche es dafür. „Das, wovon wir im Glauben reden, dass wir von Gott angenommen und geliebt sind, mit all unseren Ecken und Kanten, mit all dem, was wir an uns selber nicht leiden können, das ein Stück erfahrbar und spürbar machen.“ Wo das gelänge, dass Menschen sich angenommen fühlten, da entstünden tiefe Begegnungen, so dass Menschen das aussprechen könnten, womit sie selber nicht einverstanden seien. „Ich bin neugierig auf andere Menschen. Bis jetzt! Es ist oft auch eine gegenseitige Bereicherung, selbst in der Seelsorge, wo man ja bei dem bleibt, was den anderen beschäftigt.“

Das, was seine Klient:innen insbesondere in der Onkologie beschäftigt, ist absolut elementar. Nach der Diagnose Krebs stehe auf einmal das ganze Leben unter einem anderen Vorzeichen. „Sie sehnen sich nach Heilung. Manchmal gelingt das, manchmal erleben Menschen nach vielen Jahren, dass die Krankheit wieder kommt.“ So oder so sei die Aufgabe, die eigene Erkrankung anzunehmen. „Durch alles hindurch: Durch Wut hindurch. Durch Verzweiflung hindurch. Und durch Kämpfen, durch Erschöpftsein.“ Jede:r müsse am Ende damit seinen Frieden machen, auch wenn Menschen manchmal fragten: ‚ Womit habe ich das verdient? Ich habe mich doch immer bemüht, ein ordentlicher Mensch zu sein!‘ „Darauf gibt es keine Antwort. Das können wir nur annehmen. Und dann können Menschen am Ende in Frieden sterben.“ Menschen auf diesen Wegen begleiten zu dürfen, ist für Wolfram Bach „ganz berührend und erfüllend. Ich habe dabei erfahren: Wir haben auf nichts im Leben einen Anspruch.“

Dankbar sein, wertschätzen, was ist – darauf kommt er immer wieder zu sprechen. „Ich fühle mich getragen durch meinen Glauben.“ Auch durch biografische Erfahrungen, dass sich manches im Lebenslauf fügte und ihn vor anderem bewahrte. „Je älter ich werde, erwächst für mich daraus Dankbarkeit. Ich kann es gar nicht anders sagen. Dieses sich-getragen-zu-fühlen, das ist ganz deutlich.“

Einverständnis mit dem, was ist

Ein buntes, vielfältiges Berufsleben in der Arbeit mit Gemeinden, Menschen und auch Verwaltung mit großen Bauvorhaben, Friedhofsverwaltung und Kirchenvorstandsarbeit geht für den noch 64-Jährigen zu Ende. In drei Kirchenkreisen war er stellvertretender Superintendent, einmal hat er selbst Anlauf genommen und sich auf eine Superintendentenstelle beworben – dass daraus dann doch nichts wurde sei im Nachhinein gut gewesen, denn eigentlich passte das damals mit der Familienphase überhaupt nicht. „Das wäre wohl ein bisschen viel auf einmal geworden“, sagt er heute ganz versöhnt. Überhaupt: In der Begegnung und im Gespräch mit Wolfram Bach versteht sich geradezu mühelos, was Demut bedeutet. Demut nicht als Unterwürfigkeit oder Verzicht, sondern vielmehr als Ausdruck eines Einverständnisses ist mit dem, was ist.

Vielleicht macht das auch die Arbeit des Seelsorgers aus? Selbst für sich zu diesem tiefen Einverständnis gekommen zu sein, kann schließlich anderen helfen, den eigenen Weg akzeptieren zu lernen. „Meine letzten Berufsjahre hier in Wolfsburg waren eine gute und erfüllende Zeit“, verabschiedet er sich aus dem aktiven Erwerbsleben. Und was kommt jetzt? „Erst müssen meine Frau und ich uns zu zweit neu sortieren, weil wir zeitgleich in den Ruhestand gehen. Unser Enkel ist jetzt knapp zwei Jahre alt, der soll uns noch öfter erleben.“ Der ‚Rest‘ finde sich, ist sich Wolfram Bach ganz entspannt sicher. Zeit zum Reisen werde es neben Enkel und Ehrenamt im Wolfsburger Hospizverein geben, auch das Motorrad soll noch nicht eingemottet werden.

Kirchenkreis-Öffentlichkeitsarbeit / F. Josuweit

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