Flurstück 95

Nachricht 24. August 2025
Foto: KK-Öffentlichkeitsarbeit / F. Josuweit

Gemeinsam: Kirche und Kommune schaffen soziokulturelles Dorfzentrum 

Zweitausend Einwohner:innen und 1.100 Kirchenmitglieder – in Groß Oesingen scheint die Welt noch in Ordnung. 400 Quadratmeter Gemeindehausnutzfläche sind trotzdem zu viel. 130 Quadratmeter dürften es noch sein, sagen die aktuellen Richtwerte der hannoverschen Landeskirche. Alles, was darüber hinausgeht, wird nicht mehr bezahlt. Damit ist Groß Oesingen nicht allein, das (be)trifft alle Gemeinden der Landeskirche. Und es (be)trifft nicht nur Gemeindehäuser, auch Pfarrhäuser und Kirchen werden reduziert.

„Wir haben einen Posaunenchor von über 40 Leuten, einen großen Kirchenchor, die kannst du nicht auf 50 Quadratmeter einsperren, die werden beim Üben verrückt“, sagt Kirchenvorsteher Hermann Prietzsch. Das Noch-Gemeindehaus, ein 1816 als Küsterschule erbautes Fachwerkgebäude, wurde Anfang der 1970er Jahre kernsaniert und erweitert, wird seit 2016 auch als Kindertagesstätte genutzt. Mieter: die Samtgemeinde Wesendorf, Kita-Betreiber: das DRK. „Die Größe dieses Gebäudes, die hätte uns irgendwann erschlagen. Allein das Dach, wir wären pleite gewesen“, so viel weiß Friedhelm Albs, ebenfalls Kirchenvorsteher in Groß Oesingen und gelernter Elektriker. Also einer, der selbst Handwerker ist. 

Vier Männer, zwei Stapel Pappbecher, eine Thermoskanne, ein Blech Butterkuchen, laute Stimmen, Ordner, Baupläne – hier geht es ziemlich handfest zu. „Das ist ja kein großes Hexenwerk, da müsst ihr den Sparren drei Zentimeter rübersetzen.“ Heinz Joachim Martens ist Architekt, der, der Bauten plant, nicht der, der sie eigenhändig baut. Dass er das Handwerk und seine unterschiedlichsten Gewerke aber sehr gut kennt, wird im Laufe der Baubesprechung zum Generationentreff DoerpHus immer wieder klar. „Hast Du Wendt noch Bescheid gesagt?“ „Nee, was soll der hier?! Das Holz ist bestellt, der kann jetzt eh‘ nix weitermachen.“ Man duzt sich, wir sind schließlich auf dem Dorf, es kennen sich alle untereinander. Springt zwischendrin ein Betrieb ab, hat der Architekt flugs Ersatz zu beschaffen. Dachdecker, Trockenbauer, Elektriker – es geht nur in der richtigen Reihenfolge und Hand-in-Hand.

„Die Zeit rennt und wir rennen mit!“
Heinz Joachim Martens, Architekt

Foto: KK-Öffentlichkeitsarbeit / F. Josuweit
DoerpHus-Rohbau: Friedhelm Albs (li.) und Hermann Prietzsch (re.)

Was hakt, was muss, was kann? Immer mittwochsmorgens um 9 Uhr treffen sich DoerpHus-Architekt Martens, die Kirchenvorsteher Hermann Prietzsch und Friedhelm Albs, leitende Handwerker und der Projektleiter der Samtgemeinde Wesendorf, um das weitere Vorgehen zu besprechen und möglicherweise entstehende Problempunkte am besten gleich aus dem Weg zu räumen. Denn Baufehler können richtig teuer werden in der Gewährleistungspflicht – für die Bauherren und für den Architekten – zumal bei einem Objekt, das mit Fertigstellung bald an die zwei Millionen Euro kosten wird. Das DoerpHus, der Generationentreff Groß Oesingen, ist ein Gemeinschaftsprojekt der Samtgemeinde Wesendorf und der Friedenskirchengemeinde Groß Oesingen. Nutzen dürfen und sollen ihn nach Fertigstellung Vereine, Organisationen und auch Privatpersonen.

Fünf Jahre ist her, dass die Samtgemeinde um weitere Räume des Gemeindehauses fragte. Dem vorausgegangen waren jahrelange Beanstandungen der Schulaufsicht, die Kleiderhaken, Toilettensituation und das gemeinsame Nutzen von Fluren und Küche und manches andere mehr beanstandete und damit drohte, der im Gemeindehaus untergeschlüpften Kita-Gruppe die Sondergenehmigung zu entziehen. „Wir haben überlegt, wie das gehen kann, wollten einen weiteren Trakt anbauen, damit gleich eine zweite Gruppe untergebracht werden könnte“, erinnert sich Prietzsch. Denn die Gemeinde prognostizierte, es werde künftig im Ort noch mehr gebaut und damit Familien zuziehen. 

Die Kirchengemeinde baut, die Samtgemeinde mietet, das war eine Überlegung. Ging nicht, denn die Landeskirche sagt: Über mehr als 10 Jahre finanzieren wir nicht. Die Samtgemeinde baut und kann über 10, 15 oder 20 Jahre mietfrei nutzen. Dazu sagten die Ratsleute nein. Teileigentum, Erbbaurecht – es wurde alles Mögliche überlegt. Als letztlich umsetzbar kristallisierte sich nur der Verkauf des Gemeindehaues an die Samtgemeinde und ein Neubau für die Kirchengemeinde heraus. Denn ein Kita-Neubau anderswo am Ort wäre für die Samtgemeinde erheblich teurer geworden als Kauf und Umbau der ehemaligen Küsterschule. Der Haken daran war nur: Wo sollten in einem deutlich kleineren Gebäude künftig Chöre und Bläser proben können?

Rohbau, Verblendarbeiten – „Das ist’n Klacks, das wird da fest gemacht und dann ist gut.“ – Dachaufbau – „Wichtig ist, dass kein Wasser reinkommt. Da steht nix im Weg. Der Dachstuhl liegt da nur kurz und dann isser wieder weg.“ Heinz Joachim Martens ist in seinem Element. Ende nächster Woche soll die ganze Dachkonstruktion geliefert werden. Innen, im Mehrzweckraum der Samtgemeinde, wird das Dach nicht von Trägerbalken getragen werden, sondern von Stahlbindern, so kann der Blick und nicht zuletzt auch die Akustik für die Bläserchorproben offen bleiben. Das, was die Groß Oesinger da jetzt bauen, hat nicht nur Seltenheitswert, es sucht seinesgleichen, vermutlich nicht nur landeskirchenweit. Zwei Gebäude, das Gemeindehaus der Kirche und eine Mehrzweckhalle der Samtgemeinde, werden auf zwei getrennten Grundstücken erbaut. Von außen wird es ein Gebäude sein, getrennt durch eine Brandschutzmauer, direkt auf der Grundstücksgrenze verlaufend, wie im Grundbuch festgeschrieben.

Das, was da jetzt gebaut wird, kostet mehr als das Doppelte dessen, was die Kirchengemeinde für den Verkauf des alten Gemeindehauses nebst 3.300 Quadratmetern Grundstück mitten im Ort erhielt, es dürften nach derzeitigem Stand knapp 1,8 Millionen werden. 41 Prozent Bruttogrundfläche gehören der Samtgemeinde, 59 Prozent der Kirchengemeinde und genauso sind auch die Kosten aufgeteilt.

„Wir müssen aber alles gemeinschaftlich machen, Du kannst nicht zwei Elektriker an einem Bauort beauftragen“, sagt Kirchenvorsteher Albs, der ja selbst Elektriker ist. Zwei Bauanträge, zwei Bauherren, aber immerhin nur ein Architektenbüro. Und gemeinsame Nutzungsverträge. Zum Kaufvertrag zwischen Kirchengemeinde und Samtgemeinde steuert die hannoversche Landeskirche allein 13 Seiten Pflichttext bei. 

„Ich stelle mir hier einen Piazza Ecclesia vor, einen richtig schönen Platz zwischen Kirche, Kita und Gemeinde, wo wir mal Sommerkirche, mal ein Konzert machen können.““
Hermann Prietzsch, Kirchenvorstand Groß Oesingen

„Der Notar hat trocken geschluckt“, erinnert sich Hermann Prietzsch. Meterweise Dienstbarkeiten, die im Grundbuch eingetragen wurden, nachdem die bisher rund ein Hektar große Fläche der Kirchengemeinde rund um Kirche, Pfarr-, Küster- und Gemeindehaus aus mehreren Flurstücken und Dotationen erstmal zusammengesetzt und dann neu geteilt wurde. Dienstbarkeiten wie: Vorkaufsrecht der Friedenskirchengemeinde, sollte die Samtgemeinde unbebautes Grundstück eines Tages doch wieder veräußern wollen. Oder: Keine Rotlichter in den Fenstern des ehemaligen Gemeindehauses. Oder: Kostenlose Nutzung des künftigen Mehrzweckraumes, der der Samtgemeinde gehören wird, für Proben von Bläsern und Kirchenchor. Dauerhaft gültig. Denn steht so etwas einmal im Grundbuch, kann es im Zweifelsfall rechtlich durchgesetzt werden. „Wir sind jetzt auf ewig mit der Kommune verheiratet. Das kann man nicht mit x-beliebigen Privatpersonen machen, das geht nur mit Institutionen wie einer Gemeinde“, sagt Hermann Prietzsch.

Firstfette, Unterspannter Stahlbinder, Zugstäbe, Alufensterrahmen - es gilt, Lieferzeiten und Lieferreihenfolgen zu beachten, damit alle wie geplant arbeiten können. Verzinkt oder lieber Edelstahl? Für und Wider werden lautstark diskutiert, mit flotter Zunge kommentiert. Taktgeber ist Architekt Martens und wie gesagt: Keiner hier kann schneller reden und vermutlich auch nicht schneller denken. „Die haben genau den Sonnenschutz angeboten, den wir angefragt haben“, betont er. Das scheint also nicht selbstverständlich zu sein und zwingt Bauleitung und Bauherren, ständig umzudisponieren und das dann mit allen Gewerken, die davon in der Folge betroffen sind, abzustimmen. Denn wird der Metallbauer nicht rechtzeitig fertig mit den Profilen, stockt es beim nächsten Arbeitsgang. 

Foto: KK-Öffentlichkeitsarbeit / F. Josuweit
Baubesprechung und Baugehung - die Zeit drängt

Alles war in trockenen Tüchern: Der Kirchenvorstand, wenn auch nicht einstimmig, so doch mehrheitlich überzeugt, der Kaufvertrag mit der Samtgemeinde, die Genehmigung von Landeskirche und Kirchenkreis, die Bewilligung der Fördergelder von insgesamt einer Million Euro, der Bauantrag längst gestellt, die Grundbuchumtragungen erledigt. Nur die Baugenehmigung, die kam über ein Jahr lang nicht. Damit standen nicht nur Fördergelder auf der Kippe, sondern das gesamte Projekt nebst Verkauf des Gemeindehauses an die Samtgemeinde. 

Erst gab es Nachfragen zur Grenzziehung, dann zum Brandschutz, dann zum Lärmschutz. „Dann kam der Archäologe“, erzählt Prietzsch. Der suchte nach alten Gebäuderesten aus Urzeiten oder mindestens dem Mittelalter, nach alten Niedersachsenhäusern oder alten Brunnen und stimmte sich mit dem Tiefbauer ab. „Das ist ein kleiner Hoheitsakt. Der ist dann der Baugenehmigung quasi als Schleife angefügt: Alles clean.“ Bis es so weit war, schrieb man nicht nur in Groß Oesingen Anfang April 2025. „Das war eine ganz eklige Situation! Jetzt müssen wir richtig Gas geben!“, meint nicht nur Friedhelm Albs.

„Ich wünsche mir, dass wir Öffentlichkeit in unser Haus ziehen. Mit den anderen Akteuren hier in Groß Oesingen: dem Sportverein, den Schützen, der Feuerwehr, den Jägern, den Kita-Gruppen oder auch privaten Feiern.“
Friedhelm Albs, Kirchenvorstand Groß Oesingen

Der Bauteil der Samtgemeinde muss bis Ende Oktober 2025 abrechnungsfertig sein, sonst geht eine halbe Million Euro flöten. Diese Fördergelder stammen aus dem EU-Programm Basisdienstleistungen, das Einrichtungen zur Grundversorgung der ländlichen Bevölkerung schaffen, sichern und verbessern und die dörfliche Gemeinschaft fördern will. Jeweils 500tausend Euro erhalten die Samtgemeinde und die Kirchengemeinde, letztere muss ihren Bau bis März 2026 abgeschlossen und abgerechnet haben, Rechnungsprüfung eingeschlossen. 

„Die Kostenaufstellung aktualisiere ich euch noch, der Fliesenleger ist sogar etwas günstiger geworden“, stellt Martens in Aussicht. Die Wirtschaftlichkeitsberechnung für die Photovoltaikanlage steht noch aus, der Gebäudeteil der Friedenskirchengemeinde soll aber Solarstrom produzieren, Wirtschaftlichkeit hin oder her. Denn bei der Nutzung regenerativer Energie geht es schließlich nicht nur ums Geld, sondern mindestens ebenso sehr um Nachhaltigkeit, um Umweltschutz, um die Bewahrung der Schöpfung. Mit ein Grund, weshalb das DoerpHus und auch die Groß Oesinger Friedenskirche mit Groß Oesinger Nahwärme versorgt werden. Und dass die Oesinger nicht bange sind, was zügiges Bauen angeht, zeigt die Friedenskirche: Am 30. April 1880 erfolgte der Abriss des alten Kirchenschiffs, am 10. Oktober im selben Jahr die Einweihung des heutigen Gotteshauses.

„Das, was wir in den nächsten drei Monaten schaffen wollen, können wir auch schaffen“, ermutigt Architekt Martens. Auch das, neben einer realistischen Einschätzung, gehört wohl zu seinen Aufgaben. Und Mut braucht dieses Projekt jede Menge. Furchtlosigkeit. Risikobereitschaft. Es ist ein kleines Husarenstück, was die Groß Oesinger da gerade hingelegen.

Nicht mal eine Stunde hat die Baubesprechung gedauert, der Kaffee ist alle, vom Kuchen bleibt ein kleiner Rest, der geht gleich noch auf die Baustelle zu den Handwerkern. Und in wenigen Wochen feiern die Oesinger Richtfest. „Es könnte gut ausgehen“, wagt sich Hermann Prietzsch mittlerweile aus der Deckung. „Wenn wir eine Seite dicht haben, können wir uns beim Richtfest da unterstellen, wenn’s regnet.“

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