Jesus sagt: „Ich bin der Weinstock und ihr seid die Reben. Wer mit mir verbunden bleibt, so wie ich mit ihm, bringt reiche Frucht. Denn ohne mich könnt ihr nichts ausrichten“. (Joh. 15,5; GN)
Das Bild vom Weinstock und den Reben kommt in den Evangelien allein bei Johannes vor und nirgends wird der Zusammenhang zwischen Jesus und seinen Jüngern so eng beschrieben wie hier. ‚Ohne mich könnt ihr nichts ausrichten.‘
Klingt das auch nach Angst, jemand loszulassen? Klingt das nach Klammern? Man muss wissen, dass die Gemeinden des Johannes in der Zeit der aufkommenden Christenverfolgung lebten und wirkten. Der Druck auf die Gemeinden war sehr groß: sich zu Christus bekennen und dem Kaiser als Gott huldigen – das ging nicht zusammen. Johannes will seine Gemeinden ermutigen und ihr Vertrauen zum Auferstandenen stärken.
Ich bin sicher, dass er gejubelt hätte, wenn er die Freiheit und die Möglichkeiten, die die Kirche heute hat, mit eigenen Augen gesehen und erlebt hätte. In seinen Gemeinden war das ganz anders und er selbst musste für sein Bekenntnis zu Christus in die Verbannung. Die Freiheit einer Kirche, wie sie heute gegeben ist, hätte man sich damals nicht mal im Traum vorzustellen gewagt. Aber diese Freiheit hat auch ihren Preis:
Eine Kirche, in der zunächst alles und jeder einen Platz hat, und die darum der Gefahr der wahllosen Beliebigkeit ausgesetzt ist, diese Kirche bedarf auf die Dauer der Unterscheidung, der Reinigung. Jesus verwendet ein aussagekräftiges Bild und stellt Gott als Weingärtner dar. Der pflanzt den Weinstock nicht nur, der kommt auch ein ums andere Mal, begutachtet das Gewächs und schneidet verdorbene Reben ab, damit die ganze Kraft und die Süße in die gesunden Reben geht.
Vielleicht ist das, was wir in der Kirche momentan erleben, eine solche Reinigung: manche Leute trennen sich von der Kirche und die Kirche andererseits muss sich von manchen Dingen trennen. Bei vielen löst das Ängste aus. Für Johannes liegt auf dem Prozess der Reinigung keine Bedrohung, sondern eine Verheißung: Der Weingärtner schneidet heraus, was nicht Frucht bringt. Das, was bleibt, wird umso mehr Frucht bringen, den Willen Gottes überzeugender vorleben und seine Verheißungen lebendiger weitergeben.
So sind wir mit diesen Worten Jesu vielleicht gefragt, gegen allen Stolz, gegen alle Scheu und alle anderen Einwände unserem Herzen einen Ruck zu geben und neu zu beginnen: die Blickrichtung zu wechseln. Den Reinigungsprozess auszuhalten und den Klärungsprozess mitzutragen. Der Bestand des Weinbergs steht außer Frage. Entscheidend ist die Frucht der einzelnen Rebe und die Tatsache: „Ohne mich könnt ihr nichts ausrichten.“
Helmut Kramer ist Pastor in den verbundenen Kirchengemeinden Brome-Tülau und Ehra
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