Behutsamkeit und Sanftmut

18. Dezember 2022

„Eure Güte lasst kund sein allen Menschen“! (Philipper 4,5)

Regelmäßig an Heiligabend knallt der ehemalige Feldwebel Huber gegen 20 Uhr durch, steht auf der Straße, brüllt sich die Seele aus dem Leib und stört den weihnachtlichen Frieden. Von Nachbarn informiert, rückt die Polizei an. Aber es widerstrebt ihr, den schwerhörigen Sturkopf am Heiligen Abend einzusperren oder in eine geschlossene Abteilung einzuweisen. Also reden die Beamten beschwichtigend, aber auch streng auf ihn ein und bewegen ihn, in sein Haus zurückzukehren.

Kaum sind sie wieder in der Polizeiwache zurück, klingelt das Telefon erneut: „Bitte kommen Sie noch einmal. Jetzt schreit er noch lauter“. Die meist jungen Polizisten stecken die Köpfe zusammen und haben dann eine Idee, die in keinem Lehrbuch steht: sie packen Plätzchen und Schokolade zusammen, die nette Leute an Heiligabend vorbeibrachten, und legen noch eine Flasche Glühwein dazu. Dann fahren sie noch mal raus, überreichen Huber das Päckchen und sagen: „Wir sind noch einmal zurückgekommen, um Ihnen frohe Weihnachten zu wünschen und ein gutes Neues Jahr“. Die Reaktion ist umwerfend. Der Mann stammelt: „Was, was – für mich?“ Tränen laufen über sein strahlendes Gesicht. Dann geht er glücklich in sein Haus zurück.

Sie haben in den folgenden Jahren nie mehr etwas vom alten Huber gehört. Vielleicht ist er längst verstorben, vielleicht versorgen die Nachbarn ihn jetzt mit Plätzchen…

Warum diese Geschichte? Weil sie mir zeigt, wie wichtig es ist, wenn wir die Aufforderung des Paulus zu Herzen nehmen und sie umsetzen: eure Güte lasst kund sein allen Menschen. Wir leben in einer Welt, die nicht nur hektisch geworden ist, sondern auch lieblos. Und die Erfahrungen der letzten drei Jahre haben uns zusätzlich sehr dünnhäutig gemacht. Beim kleinsten Anlass ‚fahren wir aus der Haut‘; das Zusammenleben in Familie oder Beruf wird manchmal auf eine harte Probe gestellt; und im gesellschaftlichen Leben wird in der Öffentlichkeit viel Streit medienwirksam ausgetragen.

Zur Zeit des Paulus war es nicht anders, aber gerade deswegen ist es so wichtig, auf diese leisen Töne zu achten: Eure Güte lasst kund sein allen Menschen. Da ist viel Behutsamkeit und Sanftmut drin, viel Fantasie und Zuwendung.

Ich wünsche uns etwas von dieser Güte: dass wir die Kraft und die Weisheit haben, mit unseren Mitmenschen so umzugehen, dass sie aus der Begegnung mit uns gestärkt werden.

Helmut Kramer ist Pastor in Ehra-Lessien

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Helmut Kramer
Pastor Helmut Kramer
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