Hans-Martin Lübkings Kursbuch Konfirmation* nimmt sich zum ersten Gebot ein brisantes Thema vor. Es zitiert den Unhold des 20. Jahrhunderts mit seinen Worten: „Wir beenden einen Irrweg der Menschheit. Die Tafeln vom Berg Sinai haben ihre Gültigkeit verloren. Das Gewissen ist eine jüdische Erfindung.“ Und ein anderes Zitat, das eigentlich alles aussagt über das Rechtsverständnis der damaligen Zeit: „Es gibt nur ein Recht in der Welt und dieses Recht liegt in der eigenen Stärke.“
Dazu es das Foto eines BDM-Mädchens, das vor einem zum Altar gestalteten Bild des Führers sitzt und es mit Blumen schmückt. Und das Bekenntnis zum Führer des Baldur von Schirach, des damaligen nationalsozialistischen Reichsjugendführers, ist dazu auch noch abgedruckt.
Die Zitate sind von Lübking sorgsam recherchiert und sorgfältig dokumentiert: „Wir hörten oftmals deiner Stimme Klang und lauschten stumm und falteten die Hände, da jedes Wort in unsere Seelen drang. Wir wissen alle: einmal kommt das Ende, das uns befreien wird aus Not und Zwang. Was für ein Jahr der Zeitenwende! Was ist da ein Gesetz, das hemmen will – Der reine Glaube, den du uns gegeben, durchpulst bestimmend unser junges Leben. Mein Führer, du allein bist Weg und Ziel.“
Wenn ich das lese, verkrampft sich alles in mir.
„Es gibt nur ein Recht in der Welt und dieses Recht liegt in der eigenen Stärke.“ Ich habe mich gefragt: muss das sein? Dass so ein Text in einem Standardwerk zum Konfirmandenunterricht steht? Werden wir die Geister niemals los?
Inzwischen bin ich der Meinung: Ja, es muss sein. Die Geister werden wir nicht los, indem wir sie den nachkommenden Generationen verschweigen oder wenn wir die ungeheuerlichen Aussagen verniedlichen oder verharmlosen oder Geschichte sein lassen. Diese Einsicht tut weh, das müssen wir aushalten; aber es kann uns helfen, bestimmte Dinge noch mal zu filtern und im rechten Licht zu sehen. Auch der Begriff ‚Zeitenwende‘ ist also historisch vorbelastet.
Menschlich bleiben wir nur, wenn wir einen Gott über uns anerkennen und uns nicht selbst an die Stelle Gottes setzen.
Das klingt wie aus dem Lehrbuch, aber wir brauchen auch in Zukunft die Sensibilisierung für das, was absolut notwendig ist, damit wir erkennen: Das Recht liegt eben nicht in der eigenen Stärke. Das gilt für die ganz Großen dieser Welt wie für die Kleinen. Das gilt für die Großen, die alle Grenzen von Recht und Anstand überschreiten und Menschenwürde mit Füßen treten, und es gilt für die Kleinen, die ihre Mentalität an dem Gebaren der Großen ausrichten zu dürfen meinen.
„Die Stärke des Rechts droht durch das Recht des Stärkeren ersetzt zu werden“, lesen wir in der zurzeit viel diskutierten und zum Teil viel bescholtenen Denkschrift der EKD Welt in Unordnung – gerechter Friede im Blick auf Seite 97. Darum: „Menschlich bleiben wir nur, wenn wir einen Gott über uns anerkennen und uns nicht selbst an die Stelle Gottes setzen“.
Ich wünsche uns, dass wir das nicht vergessen in unserer heutigen Welt.
Helmut Kramer ist Pastor in Ehra-Lessien und Tülau
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* Das ‚Kursbuch Konfirmation‘ von Hans-Martin Lübking ist das Standardwerk in der Konfirmandenarbeit der Gemeinden in den evangelischen Landeskirchen in Deutschland