In diesem Jahr fällt der Dank für die Ernte und den Ertrag der eigenen Arbeit bei vielen Menschen durchwachsen aus. Die einen sind dankbar, weil das Erntejahr doch recht gut war; Menschen im ländlichen Raum, die direkt eingebunden sind in der Einbringung der Erntegaben, wissen das Fest des Dankes zu schätzen. Die anderen bangen um ihren Arbeitsplatz und fragen voller Angst und Sorge, was uns Herbst und Winter und der Jahreswechsel noch bescheren werden. Und wieder andere sehen ihre Existenz bedroht, weil sie schon seit Monaten ihrer Beschäftigung beraubt sind.
Und über allem die Unsicherheit und die Angst und die zum Teil kontroversen Debatten um die Pandemie. Was ich in diesen Tagen ein wenig vermisse, ist die Geschlossenheit um die Entscheidung des Frühjahrs, aufeinander Rücksicht zu nehmen.
Florian Harms, Journalist und Chefredakteur bei T-Online, hat jüngst in einem Artikel, in dem er Alltagshelden würdigt, einen Begriff verwendet, der den Geist unserer Zeit durchaus treffend beim Namen nennt: „Erregungsmediokratie“. Gemeint ist das Diktat des Mittelmaßes, das sich manifestiert in einem allgemeinen Erregungszustand. Da hat jede und jeder etwas zu sagen, zu kommentieren, zu lamentieren. Ein oft seltsames Verständnis von Meinungsfreiheit paart sich bei vielen mit Ignoranz. Wo ist der Zusammenhalt des Anfangs geblieben? Mag sein, dass das eine Folge von Corona ist und ein kollektives Symptom unserer Unsicherheit im Umgang mit einem Prozess, der vielleicht von uns erwartet hat, dass wir uns auf ein komplettes Neues einstellen.
Nun müssen wir auf schmerzhafte Weise einsehen: ein Neues wollten wir nicht. Wir wollten immer schon aufholen, was wir in den letzten Monaten versäumt zu haben meinten. Doch wir können die letzten Monate nicht einfach wegwischen und wieder „zum Alltag“ übergehen, als sei nichts gewesen.
Deswegen wird uns am diesjährigen Erntedank der Ausblick der Verheißung Gottes erst richtig bewusst: „Mein Volk soll meiner Gaben die Fülle haben, spricht der HERR“. (Jes. 31,14) Wohl dem, der das erkennt. Das Wissen um die Fülle des Lebens soll uns achtsam machen für die Not des Nächsten. Dass das keine Utopie bleiben muss, macht mir ein kleiner Sachverhalt aus diesem Jahr deutlich: Covid-19 hat den ökologischen Fußabdruck der Menschheit schrumpfen lassen und das Datum des Earth-Overshoot-Day, des Erdüberlastungstages, im Vergleich zum Vorjahr um mehr als drei Wochen nach hinten verschoben. Wir leben jetzt zwar immer noch auf Pump der nächsten Jahre, aber es ist möglich, gemeinsam für Nachhaltigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung einzustehen. Schön wäre es gewesen, hätten wir dafür nicht Corona als Lehrmeister gebraucht. Aber da wir nun in diesem Jahr nicht ohne auskommen: geben Sie aufeinander acht – das können Sie. Und bleiben Sie gesund - das ist Geschenk.
Ein gesegnetes Erntedankfest wünscht Ihnen
Helmut Kramer, Pastor der Verbundenen Kirchengemeinden Brome-Tülau und Ehra
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