Gib ihm eine Chance!
Der Monat August endet. Längst haben wir die Augustäpfel abgeerntet und verarbeitet. Der Baum hat wieder üppig getragen. Ganz anders als der Apfelbaum, den die Konfirmandinnen und Konfirmanden in Kirchweyhe mit mir vor dem Pfarrhaus dort eingepflanzt haben. Es war ein Geschenk zu meiner Verabschiedung aus Kirchweyhe. 23 Jahre ist das jetzt her. Wenn ich in der Nähe bin, schaue ich, was aus dem Bäumchen geworden ist.
Nicht viel. Nur mühsam ist er gewachsen. Die Erträge sind mäßig, die Früchte eher klein. Trotzdem ist mir dieses Bäumchen lieb und insgeheim danke ich den Verantwortlichen in der Gemeinde, dass er noch nicht umgehauen wurde wie manche anderen Bäume rings um das Pfarrhaus. Produktorientierte Herren hätten dem Baum keine Zeit gelassen.
„Gib ihm eine Chance! Ich will ihn düngen, vielleicht bringt er doch noch Früchte!“ Es ist das hoffende „Vielleicht“ der Liebe, das aus den Worten des Gärtners spricht, von dem Jesus Christus im Gleichnis erzählt (Lukas 13, 6-9). Diese Liebe ist geduldig und mit der Axt nicht so schnell dabei. Um dieser Bitte wegen ist das Gleichnis erzählt worden: „Gib ihm eine Chance!“
Mit zunehmendem Alter übersehe ich klarer, wie bescheiden die Früchte des eigenen Lebens ausfallen können. Was hast du bewirkt? Was versäumt? Wie sieht die Welt aus, die du deinen Enkelkindern hinterlässt? Ich ahne, dass ich, dass wir auf die Fürsprache eines solchen „Gärtners“, auf seine Geduld, angewiesen sind.
Lese ich damit in dem Gleichnis nur, was zu meinen Gunsten spricht: die Milde des „Gärtners“? Es ist schon nicht so schlimm mit deinen geringen Lebenserträgen? Nur dann, wenn ich das Gleichnis nicht bis zu Ende lese. „Vielleicht bringt er noch Frucht; wenn aber nicht, so hau ihn ab.“ Das Evangelium spricht nicht nur für uns, es fordert uns zugleich heraus. Man kann sein Leben verspielen und seine Zeit fruchtlos vertun. Wir können es als Einzelne, wir können es als christliche Gemeinde und als Völkergemeinschaft.
„Gib ihm eine Chance!“ Gott hält uns für mündig und also auch für verantwortlich. Am 22. August wurden wir daran erinnert, dass ab diesem Tag die gesamten nachhaltig nutzbaren Ressourcen der Erde für das ganze Jahr verbraucht waren. „Grenzen des Wachstums“, der „Club of Rome“ hatte uns schon vor fünf Jahrzehnten auf die Verantwortung der Menschen aufmerksam gemacht. Wie schön, wenn wir den Mut hätten, uns selbst gegenüberzutreten und uns ins Gesicht zu schauen. Wir gewönnen die Freiheit, „ein anderer zu werden“ (Dorothea Sölle / Fulbert Steffensky).
Martin Berndt ist Superintendent i.R.
Diese Andacht wurde am 29. August 2020 in Isenhagener Kreisblatt veröffentlicht.
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