Predigt zur Jahreslosung 2020

Nachricht 01. Januar 2020

Ich glaube - hilf meinem Unglauben

Werfen wir einen Blick auf das Bild.

Zwei Reliefs sind darauf zu sehen. In die linke Sandsteinplatte sind 12 Personen gehauen; genau 12 wie die Jünger von Jesus. Der rechts vorne hat die Hände zusammengelegt, aber nicht mit verschränkten Fingern wie zum Gebet, eher sorgenvoll-ängstlich mit einer Hand in der anderen. Der Jünger direkt hinter ihm legt ihm unterstützend, stärkend die rechte Hand auf den Arm. Bis auf den Jünger vorne in der Mitte blicken sie alle wie gebannt auf die 3 Personen auf dem anderen Relief.

Dort liegt ein junger Mann mit nach oben geöffneten bittenden Händen auf dem Boden. Ein älterer mit Bart kniet neben ihm und fleht den stehenden Mann regelrecht an. Bei Letzterem sind Oberkörper und Kopf ganz in einer Bewegung nach vorne, hin zu den bittenden Menschen. Die linke Hand ist ihnen zugewandt, die rechte aber erhoben – und zwar mit dem lateinischen Segensgruß: Daumen, Zeige- und Mittelfinger sind ausgestreckt gen Himmel und weisen auf die Dreieinigkeit, die letzten 2 Finger sind zurückgebogen und verweisen auf die göttliche und menschliche Natur von Jesus Christus.

So hat der bremische Bildhauer Kurt Lettow die Heilung des besessenen Jungen dargestellt: Der segnende Jesus treibt den unreinen Geist aus – wir würden heute sagen, er heilt den von epileptischen Anfällen gequälten Jungen. Und er tut dies, nachdem der Vater des Jungen, die kniende Person mit Bart, Jesus anfleht, ihm zu helfen. Von klein auf hat sein Sohn immer wieder schreckliche Anfälle, mit Schaum vor dem Mund, und besonders oft in der Nähe von offenem Feuer und tiefem Wasser. Der Junge ist dem Tod nahe. Jesus ist seine letzte Chance. Doch der Vater ist unsicher: „Wenn du; [Jesus,] etwas kannst, so erbarme dich unser und hilf uns! So schreit er. Und Jesus antwortet ganz ruhig: „Alle Dinge sind möglich dem, der da glaubt.“ (Mk 9,23b) Sofort schreit der Vater heraus: „Ich glaube; hilf meinem Unglauben!“ (Mk 9,24)

Da lässt sich die ganze Verzweiflung des Vaters mithören. An der Grenze von Leben und Tod ist der Zweifel so stark, ob Heilung überhaupt möglich ist, ob irgendjemand helfen kann, ob Jesus oder Gott das können, ja, ob es Gott überhaupt gibt.

„Ich glaube; hilf meinem Unglauben.“ Ich vertraue dir, aber zugleich kann ich es nicht.

Der Vater liefert sich Jesus ganz aus. Er hat nichts mehr, ist ohnmächtig gegenüber der Krankheit seines Sohnes, und er kann nichts mehr, auch nicht mehr richtig vertrauen in andere Menschen oder Gott. Und an dem Punkt, ganz unten im Staub ist er ganz ehrlich, gibt zu, dass er sein Vertrauen, seinen Glauben verloren hat und doch zumindest vertrauen will – in diesen Jesus. Klingt vielleicht nicht logisch, gar widersprüchlich – und ist doch menschlich. Und richtig vor Jesus. Der sieht das Eingeständnis des Unglaubens als Glauben an und heilt den Jungen.

Das ist eine Geschichte für alle, die nicht immer mit 100 oder gar 10 % glauben können, die der Zweifel überkommt. Die angesichts der Ereignisse unserer Welt und des eigenen Lebens auf dem Boden liegen oder auf den Knien flehen oder wie die Jünger in Schockstarre verfallen sind. Die nur noch diese Worte über die Lippen kriegen: „Ich glaube; hilf meinem Unglauben.“

Mir haben diese Worte und genau diese Steinreliefs 20 Jahre lang immer wieder aufgeholfen – in jedem Gottesdienst in der Markuskirche in Stade, in der ich so lange Pastor war. Und vor meinem inneren Auge taucht sie immer wieder auf, die Hand von Jesus, die über alle zum Segen erhoben ist, diejenigen die glauben, diejenigen, die zweifeln und diejenigen, die beides zugleich tun.

Amen.

Christian Berndt  Superintendent
Predigt zur Jahreslosung 2020 (Mk 9,24)
im Gottesdienst am Neujahrstag 2020 in der Michaeliskirche in  Fallersleben

 
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Foto: Jens Schulze
Superintendent Christian Berndt
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