Nein, es ist kein Versehen. Noch immer ist Weihnachten. Zumindest Weihnachtszeit. Meine persönliche Weihnachtszeit dauert an, und zwar bis zum 2. Februar. So habe ich das in meinem evangelisch-katholischen Elternhaus gelernt, und so praktiziere ich es noch immer.
Ich kann mir vorstellen, dass ich mir in den letzten Jahren einen Ruf als Weihnachtsverächter erarbeitet habe. In der Tat kann ich persönlich auf vieles verzichten, das viele andere an Weihnachten nicht missen mögen: Ich brauche keinen Glühwein, keine »Stille Nacht«, keine besondere Beleuchtung, selbst einen Weihnachtsbaum brauche ich nicht zu meinem Glück. Wir haben trotzdem meistens einen, wegen der Kinder, die über Weihnachten zu Besuch kommen. Und wenn er dann schon mal da steht, dann muss er auch stehen bleiben – bis zum 2. Februar, dem Ende der Weihnachtszeit.
Ich bin ein Weihnachtsmensch
Wie, so lange feiert der Weihnachten? Aber natürlich doch. Wie sonst sollte ich die dreißig oder vierzig Weihnachts-CDs hören, die ich einer Sammlung habe? Fast alle sind mir lieb und teuer, darauf will ich nicht verzichten. Als ich vor Jahren über »Stille Nacht« hergezogen bin, hat mir ein lieber Mensch geschrieben, letztlich habe doch jeder seinen eigenen Weihnachtskitsch. Stimmt, mein Kitsch klingt halt barock und nicht nach Biedermeier. Und ich höre ihn jedes Jahr wieder gern.
Ja, ich muss zugeben: Ich bin ein Weihnachtsmensch. Weihnachten ist mir zu schade, als dass es verschleudert werden dürfte. Ich hasse das Winterwonderlandgedudel im Radio und in den Kaufhäusern, ich hasse die Ungeduld, gerade mal den Totensonntag abzuwarten, bevor diese sogenannten Weihnachtsmärkte eröffnen, ich hasse den freundlichen Wunsch, schon im Verlauf des zweiten Feiertags frohe Weihnachten »gehabt zu haben«, ich hasse es, wenn bald nach Neujahr die Bäume schon wieder an der Straße zur Abholung bereitliegen, damit die Bude nicht so dreckig wird. Das alles und noch viel mehr hasse ich – aber ich liebe Weihnachten.
Weggeräumt und erledigt – dafür ist mir Weihnachten zu schade
Nicht in der Weise, wie es in einer meiner liebsten Weihnachtsgeschichten erzählt wird, »Nicht nur zur Weihnachtszeit« von Heinrich Böll. Nicht als ewiger, täglich in erstarrten Ritualen wiederkehrender Heiligabend mit Braten und Plätzchen, dem Besuch des Herrn Pfarrer und dem gläsernen Engel, der die zerrüttete Familie unablässig mit seinem gehauchten »Frieden, Frieden« beglückt. Das würde ich auch nicht aushalten.
Aber in mir ist offenbar der Wunsch, dass Weihnachten nicht schon vorbei ist, bevor es überhaupt richtig angefangen hat. Weggeräumt und erledigt, bis zum nächsten Mal – dafür ist mir Weihnachten tatsächlich zu schade. Ich will was davon merken, dass Gott in die Welt gekommen ist, dass er diese Welt in allem mit mir teilen und sie verändern will. Weihnachten soll Folgen haben. Das lasse ich mir, wenigstens bis zum 2. Februar, nicht nehmen. Also: eine frohe restliche Weihnachtszeit Ihnen und euch allen!
Karsten Heitkamp, Pastor in Groß Oesingen & Steinhorst
(Diese Andacht erschien am 11. Januar 2020 im Isenhagener Kreisblatt)
Sachinformation:
In katholischer Tradition dauert die Weihnachtszeit vom 25. Dezember (samt seinem Vor-, dem Heiligen Abend) bis zum 2. Februar (Maria Lichtmess), insgesamt vierzig Tage. Dies haben sich die evangelischen Kirchen in den liturgischen Reformen der letzten Jahre (wieder) zu eigen gemacht. Zeitabschnitte von vierzig Tagen begegnen des öfteren im Kirchenjahr: die Passionszeit vom Aschermittwoch bis zum Ostersonntag, die österliche Freudenzeit von Ostern bis Christi Himmelfahrt, in manchen Traditionen sogar eine Fasten- und Bußzeit vom Martinstag (11. November) bis Weihnachten, eine Art verlängerter Advent. Die Zahl vierzig spielt bereits in der Bibel eine besondere Rolle als heilige Zahl.